Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
Vom Netzwerk:
verstehen?«
    »Nein.«
    »Dann tauch die Feder in die Tinte und fang damit an.«
    Meine Mutter stand plötzlich hinter uns. »Du, Guram – du hilfst bei diesem gottlosen Werk? Von dir hätte ich das am wenigsten gedacht. Hast auch du unsern Herrn und Heiland verraten? Ach, ich dachte, du würdest mir helfen, Ihn in meines Kindes Herz zu senken! Nun höre ich Allah, Allah von deinen Lippen.« Ihre Stimme zitterte vor Erregung.
    »Allah heißt Gott, Nino – weißt du das nicht?«
    »Ja, aber es ist nicht unser Gott! In Allahs Namen haben sie unser Land verwüstet, in Allahs Namen uns in die Sklaverei verschleppt, in Allahs Namen dich geblendet. Und du hasst ihn nicht, diesen Gott, und die, die ihn im Munde führen?«
    »Ich habe sie gehasst, Nino – so gehasst, dass ich dachte, ich müsste an meinem Hass ersticken. Aber Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben. Und es gibt nur einen Gott, unter welchem Namen immer ihn die Menschen anrufen.
    Als mir das glühende Eisen in die Augen fuhr, schrie ich zu ihm um Rache, aber in seiner Barmherzigkeit erhörte er mich nicht. Und als es dunkel um mich wurde und still und nur der Hass noch Platz fand in meinem Herzen und ich Tag für Tag schweigend vor ihrer Moscheetüre saß und selbst das Klingen ihrer Münzen nur mit unausgesprochenen Flüchen erwiderte, war ich namenlos elend. Doch eines Tages (ich weiß nicht, ob Monate oder Jahre darüber hingegangen waren) tat sich plötzlich eine Tür in meinem Inneren auf, und ich sah ein Licht, wie ich es mit meinen gesunden Augen niemals erschaut hatte. Das Licht war unterbrochen von zwei dunklen Linien, die senkrecht zueinanderstanden und sich in der Mitte kreuzten. Und aus dieser Mitte heraus drang die Stimme, die mein Ohr traf: »Wer hasst, hasst nicht seine Feinde, sondern sich selbst.«
    »Und da konntest du, Guram, dein Leid vergessen? Vergessen, dass es nicht nur das deine war, sondern das unseres ganzen gequälten, geschundenen, vergewaltigten Volkes?
    Du weißt, dass sie Männer und Frauen erschlugen, Kinder und Greise nicht schonten. Du weißt, dass immer wieder der Himmel über unsern Bergen in Glut getaucht war – nicht vom Morgen- oder Abendrot, sondern von den Flammen der Städte und Dörfer, dass nicht nur unsere Häuser abgebrannt wurden, sondern selbst unsere Wälder und die Stimmen der Vögel und der wilden Tiere in die Klagen der Menschen einfielen. Hast du ein Recht, das alles zu verzeihen und zu vergeben? Ein Recht, zu vergessen, in wessen Namen es geschah?
    Mir selbst ist wie durch ein Wunder kein Haar gekrümmt worden in all den schrecklichen Zeiten. Und nun lebe ich hier, im Herzen des Landes unserer Feinde, geborgen wie eine Nuss in ihrer Schale. Und doch kann ich des Morgens nicht aufstehen und des Abends nicht zu Bette gehn, ohne dass mir die Worte unseres Schota auf die Lippen springen: ›Lasst uns‹ – nein, nicht Tariel – ›Lasst uns Georgien beweinen … ›«
    »Gut, Nino, dass du auf Schota Rustaweli zu sprechen kommst. Denkst du, mir klingen seine unsterblichen Verse nicht ebenso im Ohr?
    Jene Liebe, jener Urtrieb, zur Vollendung hochgetrieben,
    den ich singen will und sagen, bleibt unsäglich, unbeschrieben.
    Wirkt sie auch beflügelnd, jene Kraft, hingebungsvoll zu lieben,
    ist doch keinem, der sie kannte, grimmes Leid erspart geblieben.
    Ach, wo gibt es denn überhaupt einen von uns, der nicht eine Vielzahl jener Verse wie einen Schatz in seinem Gedächtnis behütete?
    Aber glaubst du, es ist ein Zufall, dass Schota Rustawelis Helden nicht Georgier sind, nicht Christen, sondern Araber und Inder – also Moslems? Und dass er alle seine hohen Vorstellungen von Liebe, Treue, Hingabe und Opferbereitschaft verkörpern lässt von Gestalten aus der Welt derer, die du für unsere Todfeinde hältst?«
    »Ach, er wusste nichts von Timur, nichts von Dschingis-Chan …«
    »Aber von Omar, der schon mehr als fünfhundert Jahre vor den Mongolen in unser Land eingefallen war und einen Emir in Tbilissi eingesetzt hatte! Glaube nicht, dass Schota den Islam nicht im Blick gehabt hat, als er den Recken im Tigerfell besang. Und welch ein Vermächtnis hat er uns damit hinterlassen!
    Ja, Nino, auch dieses ging mir damals durch den Kopf, als der Panzer, der sich mir ums Herz gelegt hatte, zersprungen war und ich es wieder klopfen fühlte. Denn all die Jahre hatte es in meiner Brust gelegen wie ein toter Stein.
    Von der Stunde an habe ich neu empfunden, dass ich ein Mensch unter Menschen war. In unserem Han

Weitere Kostenlose Bücher