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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Stellen, die wir auswendig lernen mussten, aus dem Gedächtnis. Und er ging dabei durchaus nicht der Reihe nach vor, sondern nahm Rücksicht auf unser Auffassungsvermögen und sprang von der ersten Sure gleich ans Ende des Buches, wo die kürzesten Abschnitte stehen.
    Sprich: Gott ist Einer.
    Er ist in Ewigkeit.
    Er ist nicht gezeugt und hat nicht gezeugt.
    Ihm gleich ist keiner.
    Das war nicht schwer zu fassen, war leicht zu behalten.
    Und auch von dem, was dazwischenlag, lernten wir nur bruchstückweise. Denn der Chodscha nahm Rücksicht auf Abbas etwas langsamen Verstand, unterbrach oft das Auswendiglernen, erzählte uns Geschichten aus dem Leben des Propheten, seiner Gefährten, seiner Nachfolger, seiner Nachkommen – nein, er hatte es nicht eilig, uns im Koranstudium voranzutreiben, warum auch? Je schneller wir es beendeten, desto eher entwuchsen wir ihm, und daran lag ihm wenig, wurde er doch im Hause Ben Nisams nicht schlecht gehalten.
    Das erste, was nun also für mich zu geschehen hatte, war, mir einen Koran zu beschaffen. Und das war nicht so leicht, wie wir uns das vorgestellt hatten, mein Vater und ich.
    Wohl gab es auf dem Basar auch Stände, an denen Bücher feilgeboten wurden. Mein Vater ging mit mir dahin und betrachtete sie oberflächlich. Die Händler hatten bald heraus, wie wenig er davon verstand, und einer von ihnen versuchte, ihm ein Buch als Koran aufzuschwatzen, das gar keiner war, sondern nur wenige Suren enthielt und dazu ausführliche Kommentare. Aber während mein Vater schon den Beutel zückte, um es zu bezahlen, blätterte ich darin und wurde stutzig. »Dieser Mensch will uns betrügen«, sagte ich auf Georgisch, »kaufe es nicht!«
    Wütend sah mich der Araber an. Zwar hatte er kein Wort verstanden, doch merkte er, dass sich der Handel zerschlug.
    Als wir einige Schritte weitergegangen waren, blieb mein Vater vor einem Tisch mit Gold- und Silberwaren stehen. »Was meinst du«, sagte er, »würde ein solches Ding deiner Mutter nicht Freude machen?« Und er hob eine aus feinen Silberfäden kunstvoll verschlungene, mit blauen Saphirsteinen geschmückte Kette hoch und fragte in der Landessprache: »Was kostet sie?«
    Ein junger Mann stand hinter der Ware. Er nannte einen Preis, nicht eben gering, und mein Vater begann in der üblichen Art zu feilschen. Da hörten wir eine Stimme aus dem Hintergrunde des Ladens, die auf Georgisch sagte: »Schenke sie ihm, Tirsad, weil er ein Landsmann ist!«
    »Ach, Meister Guram«, erwiderte Tirsad, sichtlich verlegen, »Ihr seid zu …«
    Der Alte aber ließ ihn nicht aussprechen, trat aus seiner dunklen Ecke ins Licht, schob seinen Gehilfen zur Seite und stand vor uns, hochgewachsen, hager, etwas vornübergeneigt. Sein weißes Haar umrahmte ein scharf geschnittenes, faltendurchfurchtes Gesicht, seine Augenhöhlen waren leer.
    »Ich bin kein Georgier, Meister Guram«, sagte mein Vater etwas verlegen, »spreche nur eure Sprache und möchte den Schmuck nicht geschenkt haben.«
    »Aber meine Mutter ist eine Georgierin«, beeilte ich mich hinzuzusetzen, nicht aus Berechnung, sondern weil ich fühlte, dass ich damit dem Alten eine Freude machte.
    »Dann schenke ich sie dir, mein Kind!« sagte Guram, und er drückte mir die Kette in die Hand. »Schmücke damit deine Mutter.«
    Sie weinte, als sie das Schmuckstück sah und wir ihr unser Erlebnis erzählten. »Eine solche Kette«, sagte sie, »fast genau die gleiche, trug meine Mutter. Wir haben sie ihr ins Grab gelegt. Und Guram hieß ihr Bruder.«
    Da eilte mein Vater zurück und führte den Alten in unser Haus. Ja, er war wirklich der Oheim meiner Mutter. Die Wiedersehensfreude war unbeschreiblich.
    Guram hatte in seiner Jugend das Goldschmiedehandwerk gelernt, war aber sehr früh schon Mönch geworden. Das eine stand dem andern nicht im Wege, auch im Kloster hatte er eine Werkstatt gehabt und seine Kunst zur Ehre Gottes ausgeübt, hatte die Madonna mit dem heiligen Kind im Arm dargestellt, immer wieder und in allen Techniken, in Zellenemail wie in getriebenem Silber, seine Bilder waren in viele Kirchen des Landes gekommen, selbst in dem großen Dom von Mzcheta, in Swetiskoweli, lag eine Bibel, deren Einband er mit einem vergoldeten Kruzifixus geschmückt hatte.
    Aber schon beim ersten Einfall der Tataren in das arme georgische Land, das Timur ja nicht weniger als fünfmal geplündert, ausgeraubt und geschändet hat, ging sein Kloster in Flammen auf, und er geriet in Gefangenschaft.
    »Und damals hast du das

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