Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
gelingt, erzähl ihr, du hättest dich mit deinen Kameraden geprügelt.« Erst viel später begriff ich, was für Gedanken ihn damals bewegten. Unerhört war es, dass ein Moslem sich nach der Frau eines Andern, sie sei dessen Gattin oder Sklavin, erkundigte. Und dass dieser Perser von der vermutlichen Schönheit meiner Mutter gesprochen hatte, ließ Schlimmes befürchten. Aber was konnte mein Vater tun gegenüber einem Menschen, der so reich an Geld, Macht und Einfluss war wie Achmad Ben Nisam?
In Ungarn hätte Köváry István ihn vor seine Klinge gefordert – unmöglich aber war das einem Kükülli in Samarkand. Für den gab es nur eine Möglichkeit, eine solche Gefahr aus dem Wege zu räumen, und die hieß Intrige und Hinterlist. Aber Kükülli bleibt eben doch Köváry István und kann nicht Freundschaft und Ergebenheit heucheln und Gift in einen Becher Weines fließen lassen, den er auf die Gesundheit seines Zechgenossen anstößt.
Mein Vater muss sich das vorgestellt haben und sich gleichzeitig bewusst gewesen sein, dass es ihm unmöglich wäre. Er muss sich gesagt haben, dass es notwendig sei, mich dem Perser aus dem Blickfeld zu nehmen, damit dessen Gelüste nicht ständig neue Nahrung erhalte, aber er muss sich ebenfalls gesagt haben, dass es nicht zutage treten dürfe, wie empört er über das Vorgefallene war. Und vor allem, dass er es auch mich nicht merken lassen dürfe, um mich nicht noch mehr zu gefährden.
Und so wartete ich vergebens auf ein Wort des Lobes von ihm dafür, dass ich ein Unrecht gegen meinen Kameraden verhindert hatte, und er ließ auch kein abfälliges Wort über dessen Vater laut werden, sondern fragte nach längerem Schweigen unvermittelt: »Wie weit bist du vorangekommen? Kannst du den Koran bald auswendig, dass wir dein Chatemfest feiern können?«
Da begriff ich. Den Koran auswendig – das war das Ziel des Unterrichtes im Hause Ben Nisams. Mehr vermochte uns der Lehrer dort nicht beizubringen.
Vier Jahre waren nun schon vergangen, seit er uns Sure für Sure und Abschnitt um Abschnitt vorgetragen und abgefragt hatte – aber fertig war er noch lange nicht. So konnte ich meinem Vater auch keine Antwort auf seine Frage geben, und er erwartete wohl auch keine, sondern: »Weißt du was?« sagte er plötzlich, »wir gehen zum Basar. Da kommen wir auf andere Gedanken.« Was kann es für ein Kind Schöneres geben als den Basar? Da sind die Händler mit den Zuckersachen, und mein Vater machte seinen Beutel locker und kaufte mir davon, was mein Herz begehrte. Und erst als ich mich satt und übersatt gegessen hatte, zog er mich weiter. Bei dem Baumwollzeug und den Seidenstoffen hielten wir uns nicht auf – das ist etwas für Weiber. Die Töpferwaren lockten da schon mehr, denn dort gab es die hübschen bunten Tonpfeifchen, und die Geberlaune meines Vaters musste ausgenützt werden. Dann aber blieb ich bei den Papierhändlern stehen, obwohl mein Vater mich ungeduldig am Ärmel zupfte – er konnte nicht lesen und schreiben, so hatte er für die hier ausgestellte Ware auch kein Auge.
Samarkander Papier! Im ganzen Abendland gibt es seinesgleichen nicht. So dünn, und trotzdem so fest, so glatt, und dennoch so schmiegsam, und dabei weiß wie feinstes Elfenbein. Ich habe später auf der Hohen Schule zu Padua studiert, aber das Papier, das man aus Nürnberg dorthin brachte, war viel gelber und viel brüchiger, und als ich einmal ein besseres fand und es gegen das Licht hielt, sah ich ein mir recht wohlbekanntes Wasserzeichen, und mein Herz brannte vor Heimweh: Es stammte aus Samarkand!
Damals aber, als ich die blendend weißen Bogen in hohen Stapeln aufeinanderliegen sah, ließ ich mich von der Ungeduld meines Vaters nicht anstecken, denn plötzlich hatte ich eine Eingebung: »Vater«, sagte ich, »wenn ich den Koran abschreibe, werde ich mir seine Worte schneller einprägen können. Kaufst du mir das Papier, das ich dazu benötige?«
Er hatte sich schon von dem Stand abgekehrt und wandte mir den Rücken zu, drehte sich aber blitzschnell wieder um. Den Koran abschreiben! Für einen Mohammedaner gab es kein gottwohlgefälligeres Werk. Und sofort erfasste er, was sich aus diesem meinem Vorsatz ergeben könnte. »wie viel brauchst du denn?« fragte er.
Ich schwieg, weil ich das unmöglich beantworten konnte, aber der Händler, der unser Gespräch mit angehört hatte, kam uns zu Hilfe und brachte auf diese Weise eine viel größere Anzahl von Bogen an den Mann, als ich dann tatsächlich
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