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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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bloß die Hand aus und sagte: »Sei rein!« und auf der Stelle verschwanden die Flecken und Blasen auf dem Körper des Unglücklichen, und er war gesund. Wer aber vermittelt uns die Fähigkeit, solches zustande zu bringen? Und wer konnte mir hierüber Auskunft geben?
    Guram?
    Ich durfte mich keiner Täuschung hingeben. Seit Monaten war er der alte nicht mehr. Meist hockte er in sich gekehrt und teilnahmslos in seiner Kammer, lächelte bloß, wenn man ihn ansprach, und verfiel vor unseren Augen. Selbst seine Esslust ließ in erschreckender Weise nach, von den leckersten Speisen, die meine Mutter ihm vorsetzte, aß er nur wenige Bissen, und wenn sie ihn inständig bat, doch zuzulangen, schob er den Teller zurück und sagte: »Ich kann nicht mehr.«
    Sein Gedächtnis führte ihn immer tiefer in die Vergangenheit zurück, und eines Tages sprach er meine Mutter nicht mit »Nino« an, sondern mit dem Namen seiner Schwester »Mediko«. Als ich das zum ersten Mal hörte, erschrak ich furchtbar, denn mir wurde bewusst, dass ich etwas Unersetzbares verloren hatte: Der Oheim, der mir in jeder Bedrängnis Ratgeber, in jedem Leid Tröster gewesen war und den ich noch mit Augen sehen und mit Händen berühren konnte, weilte nicht mehr im Kreise der Lebenden, sondern schon im Kreise seiner Toten. Und diese seine Welt war mir verschlossen, so wie sich ihm die Tür vor der unsern zugeschlagen hatte. Doch wen außer ihm hatte ich, der mir in meiner geistigen Not hätte helfen können?
    Die Mutter? Ach, von ihrem Schoß war ich längst herabgeglitten! Der Vater? War ich denn in seiner Welt noch geborgen?
    In das Haus Ben Nisams hatte er mich nie wieder mitgenommen. Dafür war ich ihm dankbar, denn der feiste Perser flößte mir Widerwillen ein, und auch nach Abbas hatte ich nicht das geringste Verlangen. Aber selbst zu gemeinsamen Ausritten kam es immer seltener, und von Falkenjagden war überhaupt keine Rede mehr. Als ich ihn danach fragte, machte er eine müde Handbewegung und sagte mit halbem Mund: »Unser Sultan hat jetzt andere Sorgen«, in einem Ton, der alle weiteren Erörterungen abschnitt.
    So verfiel ich in eine Schweigsamkeit, die meiner Natur nicht entsprach und mich daher in zunehmendem Maße quälte.
    Meine einzige Zufluchtsstätte vor den bohrenden Fragen und den schwarzen Gedanken waren die Stallungen, die meinem Vater unterstanden, und die liebsten Gesprächspartner jener Tage seine Reitknechte. Ihr derbes Gerede erheiterte mich, und wenn es mir gelang, ihren Mutterwitz durch meine Schlagfertigkeit Zu übertrumpfen, fühlte ich mich meiner selbst wieder sicher und konnte für Stunden abstreifen, was mich bedrückte.
    Noch leichter gelang mir das, wenn ich auf dem Rücken eines Pferdes saß. Viele Reiterkunststücke hatten sie mir beigebracht, ich flog mit ihnen über die weiten Uferwiesen am Kohik, auf denen sie ihre Pferde weideten und tummelten, und die Zeiten, da sie mir in den Sattel helfen mussten, waren längst vorbei. So waren wir im besten Einvernehmen miteinander, auch waren sie stolz auf meine Korankenntnisse und schworen nach wie vor auf die Wirksamkeit meiner Talismane, nur von meinen ärztlichen Künsten wollten sie nicht viel wissen.
    »Geh«, sagten sie, »die meisten Menschen sterben an ihren Ärzten, nicht an ihren Krankheiten.« Oder: »Ich besitze eine Handvoll Gesundheitsstaub, den ich einem Pilger abkaufte. Er sammelte ihn im Hause, das der Prophet (Allah segne ihn!) in Medina bewohnt hat. Was brauche ich da deine Medizin?« Oder: »Wenn du dich verletzt, Piss auf die Wunde, das heilt sie besser als alle Salben. Doch dazu seid ihr Ärzte ja zu fein.«
    Ich ließ sie bei ihren Methoden, und tatsächlich wurde auch, solange ich mit ihnen zu tun hatte, nie einer von ihnen krank. »Das macht die Luft in unsern Ställen!« sagten sie. »Bringt doch eure Schwindsüchtigen her, damit sie sich gesund atmen können!«
    Ja, die Luft in den Ställen! Dieser Ruch von Pferdeschweiß, Leder, Mist und Jauche, der sich in allem verfängt, was mit ihm in Berührung kommt. Ich liebe ihn bis zum heutigen Tag, und ein Mensch, dessen Kleider ihn ausströmen, ist mir von vornherein vertraut, und ich kann zwangloser mit ihm umgehn als mit irgendeinem andern.
    Meine Mutter freilich ertrug ihn nicht. Deshalb pflegte auch mein Vater, wenn er aus den Ställen kam, ein Bad zu nehmen, die Kleider zu wechseln und sich Bart und Haare mit Duftwasser einzureiben, ehe er die Frauengemächer betrat. Ich tat es ihm nach, nicht nur

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