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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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der Mutter, sondern vor allem meines Scheichs wegen, der sehr viel auf ein gepflegtes Äußeres seiner Schüler gab und es nicht duldete, dass wir nachlässig gekleidet an die Krankenbetten traten.
    »Merkt euch«, sagte er, »die Grundlage jedes Heilerfolges ist das Vertrauen, das die Kranken dem Arzt entgegenbringen. Darum muss er sie seine Überlegenheit spüren lassen. Hütet euch auch davor, durch allzu große Anstrengung eure Kräfte zu sehr zu verbrauchen. Das verdunkelt den Geist. Nur wer mit Ruhe und Gelassenheit den Leidenden entgegentritt, wird ihnen Zutrauen einflößen, das ihre Gesundung fördert.
    Wer es nicht bewirkt, dass sich die Kranken besser fühlen, sobald er das Zimmer betritt, sollte unsern Beruf lieber gleich aufgeben – er taugt nicht dazu!«
    So war es gerade meine Verschlossenheit, meine Zurückhaltung, was mir schließlich sein Wohlwollen eintrug. Mich als Ersten lehrte er Schröpfköpfe ansetzen, ein Bein schienen, einen ausgekegelten Arm wieder ins Schultergelenk einrenken. Und eines Tages ließ Ibad ein Wort fallen, das nach Unmut über meine Bevorzugung klang. Es war zwar nur gerade so aus dem Mundwinkel gesprochen und an niemanden gerichtet, aber Mulana Nafiz stand nahe genug, um es aufzufangen, und er sagte zu dem Araber, der auch sonst in der Schülerschar gerne das große Wort führte:
    »Wundere dich nicht darüber, mein Freund! Achmad ist mir lieb, weil er kein Schwätzer ist. Er fragt nicht viel, und man braucht ihm nicht viel zu erklären. Seine Augen begreifen, seine Hände führen aus. Das ist recht so. Ein Arzt muss schweigen können. Seine Kranken müssen wissen, dass ihre Geheimnisse in seiner Brust verschlossen sind wie in einem versperrten Schrein, dessen Schlüssel verloren ging. Von seinen Zweifeln und Bedenken gar dürfen sie keinen Hauch verspüren. Darum ist es gut, wenn er früh schon lernt, sie mit sich selbst abzumachen.«
    Diese Worte hatten eine sehr zwiespältige Wirkung. Ibad und sein Anhang bedachten mich seither reichlich mit teils offenen, teils versteckten Spötteleien, wohl wissend, dass ich zu stolz war, mich über sie beim Scheich zu beklagen. Doch einer war in der Schülerschar, der sich daran nicht beteiligte. Karib hieß er, kam aus Haleb und war viel älter als wir andern. Er war auch der größte unter uns, ein Hüne von Gestalt, an den sich nicht so leicht einer heranmachte, und er war ein Außenseiter wie ich. So ergab es sich bald, dass wir uns einander anschlössen.
    Ich lernte auch das osmanische Türkisch von ihm, denn auf die Weise konnten wir uns miteinander unterhalten, ohne dass Perser und Araber uns verstanden. Ich lernte es leicht, denn es war meinem Tschagataisch ja sehr verwandt, nur war es so, dass manche gleich oder ähnlich lautenden Wörter in den beiden Sprachen eine ganz verschiedene Bedeutung hatten, was oft zu erheiternden Missverständnissen Anlass bot. Ibad natürlich fühlte sich gereizt und herausgefordert durch unsere Eintracht und unser Gelächter, das er, misstrauisch wie er war, auf sich selbst bezog. Und einmal, als wir nach dem Unterricht noch beisammenstanden und Karib über eine Äußerung von mir in ein herzliches Lachen ausbrach, machte der Araber in seinem Zorn eine anzügliche Bemerkung über unsere Freundschaft und ließ ein gemeines Wort fallen, das er noch mit einer nicht mißzuverstehenden Geste verdeutlichte. Da konnte ich nicht an mich halten, sagte zu Karib, aber auf arabisch, nicht auf türkisch und so laut, dass Ibad es verstehen musste: »Ein Schwein, das sich in seinem Kot wälzt, riecht überall nur den eigenen Gestank« und ging, mit einer ebenfalls nicht mißzuverstehenden Geste der Verachtung, an dem Unverschämten vorbei.
    Ich ging nicht schnell. Es sollte niemand von mir denken, dass ich vor diesem Kerl davonlief, weil ich mich vor ihm fürchtete. Und als ich Schritte hinter mir herkommen hörte, kehrte ich mich nicht um.
    Es war aber nicht Ibad, sondern Karib, der mir folgte. »Warum lässt du dich ein mit diesem Maulhelden?« fragte er. »Immer habe ich dich geachtet, weil du alle seine Hänseleien mit überlegener Ruhe an dir abprallen ließest, als berührten sie dich nicht.«
    »Dieses aber war keine Hänselei, sondern eine bodenlose Gemeinheit! Empfindest du das denn nicht auch?«
    Er antwortete nicht. Wir gingen eine Weile stumm nebeneinander her. Ich achtete nicht auf den Weg. Doch er lenkte unsere Schritte dem Stadtrand zu, nicht durch belebte Straßen, sondern durch kleine

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