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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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sehr traurig, als mein Vater ihm das klarmachte. »Ich komme nicht mit«, sagt er, »was soll ich dort?« »Nun, dasselbe, was du in Samarkand tatest – was glaubst du, wie dir die ungarischen Herrn deine Kunstwerke aus den Händen reißen würden! Und die Bischöfe erst! Monstranzen für die heiligen Sakramente würden sie bestellen, Taufbecken, Kruzifixe, Madonnenbilder …« »Aber ich weiß ja gar nicht, was das alles ist! Und würde sie auch nicht verstehen, wenn sie es mir erklärten. Georgisch ja – das habe ich von Vater Guram gelernt. Aber hast du mir, Herr, denn Ungarisch beigebracht?«
    Nein, das hatte mein Vater freilich nicht. Selbst mir, seinem Sohn, kaum ein Wort davon.
    »Nun, dann lernst du es eben mit Giorgi zusammen. Wir können gleich damit anfangen. Es ist ja nicht schwer. Atya heißt Vater, anya Mutter, víz heißt Wasser, kenyér Brot, alma Apfel – fast wie im Tschagataischen.«
    Doch Tirsad ließ sich nicht überreden. In Tus blieb er zurück. Ich glaube, er hatte dort schon Heimweh.
    Mein Vater wollte ihm den dritten Teil unserer Reisekasse überlassen, konnte ihn jedoch nicht bewegen, das Geld anzunehmen. »Ich finde überall Arbeit«, sagte er nicht ohne Stolz. »Aber ihr habt noch einen langen Weg vor euch.«
    Wir küssten ihn zum Abschied, und auch mein Vater hatte Tränen in den Augen.
    Für den Weg nach Trapezunt benötigten wir den ganzen Winter, und wir kamen an vielen Ortschaften vorbei, die voll Volkes waren, doch auch an viel zu vielen, die in Schutt und Trümmern lagen. Einige waren gänzlich verfallen und verlassen, andere zum Teil wieder aufgebaut, wie die Stadt Calmarin, die in der vom Corras durchflossenen Ebene liegt und fast uneinnehmbar ist, da auf der einen Seite der große Fluss sie sichert und auf der andern ein felsiger Abgrund, breit wie ein Pfeilschuss, der sich bis zum Fluss hinzieht. Selbst Timur dem Lahmen gelang es nur durch List und Betrug, in ihre Mauern einzudringen – die Spuren seiner Verwüstung sieht man heute noch.
    Hier wohnten auch viele Armenier, die wie die Georgier Christen sind, bei ihnen fanden wir Unterkunft, und sie sagten, es habe auch große und schöne Kirchen in ihrer Stadt gegeben, aber die habe Timur alle niederreißen lassen und auch verboten, dass sie wieder aufgebaut würden.
    »Ja«, erwiderte mein Vater bitter, »es tut nicht gut, an der Straße zu liegen, auf die der Schatten Gottes fällt.« Und ich war froh, dass wir schon am nächsten Morgen weiterzogen und ich von all dem Elend nichts mehr sehen und hören musste, obwohl mich das Bild der Landschaft, in die diese Stadt gebettet ist, so mächtig anzog: Am Fuß des Großen Ararats liegt sie, jenes Berges, auf dem Noahs Arche gelandet war, nachdem sich die Sintflut verzogen hatte. Und er und die Seinen haben Calmarin auch gegründet, sodass diese Stadt die älteste auf Erden ist, denn die, die vor ihr standen, hat die Flut ja zerstört.
    Ich konnte die Augen nicht lassen von dem gewaltigen Bergriesen. Er erstrahlte im weißen Glanz seines Mantels aus Eis und Schnee wie ein König in seinem Hermelin. Unwillkürlich musste ich an das Zeichen der Verheißung denken, den Regenbogen, der über ihm stand, als Gott seinen Segensspruch tat: »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« Ja, hätte er das nicht versprochen, würde die Bosheit der Menschen die Welt schon längst zugrunde gerichtet haben, doch er lässt es nicht dahin kommen und lässt in seiner Barmherzigkeit die Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte. Und seine Wohltaten sind größer, als dass menschliche Schandtaten sie jemals ganz zunichte machen könnten. Dessen getröstet sich der Moslem so gut wie der Christ.
    Als wir Trapezunt endlich erreichten, war es März. Wir ritten durchs Osttor ein und fanden eine Herberge. Man nahm sich unserer Pferde an und zeigte uns einen Raum, in dem wir übernachten konnten. Ich ließ mich auf eine Bank fallen und schlief auch gleich ein. Doch aus dem Schlaf riss mich ein Ton, der mir durch Mark und Bein fuhr. Ein Ton, wie ich ihn noch niemals gehört hatte. Ich erschrak furchtbar. Was war denn das? Bebte die Erde? Ritten Geister durch die Luft? Ehe ich fragen konnte, sagte mein Vater: »Hör, Giorgi, das sind Glocken. Sie läuten zur Mette. Wir sind in einem christlichen Land.« Und er nahm seinen Turban ab und warf ihn auf die Erde. Er hat ihn auch nie wieder aufgesetzt.
    So müde ich war, wollte ich

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