Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
aufspringen und den Klängen nachgehn, die mein Herz so mächtig bewegten, aber: »In diesen Kleidern betreten wir keine Kirche«, sagte mein Vater, »gleich morgen werde ich uns welche machen lassen, wie man sie in Ungarn trägt.«
Es fand sich auch ein griechischer Schneider, der in Ungarn gewesen war und wusste, wie eng die Hosen sein mussten und wie verschnürt die Röcke, und mein Vater trieb ihn zur Eile an, indem er ihm eine fürstliche Belohnung in Aussicht stellte, sodass Meister und Gesellen bis spät in die Nacht hinein arbeiteten und uns schon am übernächsten Tag die Kleidungsstücke brachten. Ich zwängte mich hinein, mir war, als ob ich einen Panzer anlegen müsste. »So eng die Ärmel?« klagte ich. »Wo soll man denn da aufbewahren, was man mit sich tragen will?«
»Eselchen!« Mein Vater lachte. »Es sind doch Taschen am Rock!« Und dann ging er mit mir zu einem Priester und ließ mich taufen. »Jetzt bist du ein Ungar und ein Christ«, sagte er, »heißt Köváry György, aber ich werde dich Gyurka nennen.«
Im Kirchhof standen Zypressen und Oleanderbüsche, in den Gärten blühten Krokusse, Hyazinthen, Veilchen und Primeln in allen Farben. So begrüßte die Erde den Frühling. Nur das Meer wollte noch nichts von ihm wissen. Nie ist es ja unruhiger und aufgewühlter als gerade in der Zeit um die Tagundnachtgleiche, in der sich die Winde von allen Enden der Welt ein Stelldichein geben. Die Genuesen bemühten sich sogleich um ein Schiff und gingen zu ihren Landsleuten, die vor den Toren der Stadt ein schönes Kastell besitzen, das sie mit Erlaubnis des Kaisers dort errichtet haben nicht weit allerdings steht auch ein Kastell der Venezianer, sie trotzen sich gleichsam gegenseitig an, und es ist kaum Verkehr zwischen den Bewohnern der beiden Burgen, die sich hassen, wie sich nur Brüder hassen können. Damals wusste ich das freilich noch nicht, sollte aber die Folgen dieses Hasses noch am eigenen Leibe zu spüren bekommen.
Ein Kapitän fand sich, der uns alle auf seiner Karake nach Europa mitnehmen wollte, nur galt es zu warten, bis sich die See beruhigte. Das dauerte noch einen ganzen Monat. Und es war eine schwere Zeit für mich. Denn nun lehrte mein Vater mich Ungarisch und sprach schon nach wenigen Tagen kein anderes Wort mit mir. Oh, wie fremd er mir plötzlich war, geradezu unheimlich.
Meine Ohren summten vor lauter Wörtern, die ich nicht verstand. Trat ich auf die Straße, hörte ich Griechisch, manchmal auch Italienisch, und diese beiden Sprachen konnte ich zuerst nicht einmal voneinander unterscheiden.
Eines Tages gingen wir vor den Toren der Stadt spazieren, auf der Prachtstraße entlang der See, wo wie auf den Basaren in Chorasan alles gehandelt wird, was das Herz begehrt. Von vielen Stellen hat man einen überwältigenden Ausblick aufs Meer. Es war immer noch bewegt und spiegelte alle Farben des Himmels wider, und da gerade die Sonne unterging, sah es aus wie mit Purpur übergössen. Das Gewirr der Menschenstimmen brauste an mir vorüber, aber plötzlich verfingen sich in meinen Ohren einige Töne, die mir ins Hirn drangen. »Georgier!« sagte ich und zeigte auf eine Gruppe von Männern. »Sieh, Vater, dort sind Georgier!«
»Ich habe es auch bemerkt«, antwortete er und ging an ihnen vorbei, ohne stehenzubleiben. »Komm!«
Auch auf dem Schiff, das dann endlich in See stechen konnte, nur Griechen und Italiener. Und in Konstantinopel: Griechen und Italiener. Deren Sprachen verstand nun auch mein Vater nicht, und so waren wir beide aufeinander angewiesen, und ob ich wollte oder nicht, musste ich mich der seinen bedienen, wie sehr ich mir auch die Zunge dabei zerbrach, denn er war unerbittlich.
Und er tat recht daran. Denn als wir dann endlich im Mai des Jahres 1423 die Donau überquert, die Ebene hinter uns gelassen hatten und am Flusslauf des Alt entlang in die Berge eingedrungen waren bis zu jenem Grenzkastell, dessen rot angestrichener Turm dem Pass den Namen gibt, und mein Vater sein Pferd anhielt und sagte: »Sieh, mein Sohn, hier beginnt Ungarn, Siebenbürgen, die Heimat!«, brachte auch ich das meine zum Stehen, um mich umzusehen, und rief aus: »Jaj, de szép!«, ohne dass mir in den Sinn gekommen wäre, wie man dieses »O wie schön!« in einer mir geläufigeren Sprache hätte sagen können.
Und schön war auch wahrhaftig das Bild, das sich mir bot: rechts und links die Berge, zwar nicht so hoch wie der Ararat, doch ebenfalls noch mit Schnee auf ihren Spitzen und in ihren
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