Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Frieden ziehen ließ, sondern dass mir der Scholasticus auch noch ein unverdient gutes Zeugnis mitgab.
Ich verbrachte nur wenige Tage mit meinem Vater. Er wollte zu Ostern schon wieder zu Hause sein. Der Abschied war unbeschwert, denn jeder von uns trug sich mit Zukunftsplänen, die die Erfüllung von Mannesträumen versprachen, und keiner konnte ahnen, dass wir uns niemals wiedersehen würden.
»Ach, fast hätte ich vergessen«, sagte er noch vom Pferde herab, »die Ildikó hat mir Grüße an dich aufgetragen. Sie erwartet ein Kind.«
Er zwinkerte dabei so seltsam aus den Augenwinkeln, halb verlegen, halb überfroh, dass mir aller Ballast plötzlich von der Seele fiel und ich sein Vaterglück von ganzem Herzen mitfühlen konnte.
»Sag ihr, ich freu mich. Und tauft das Kind Michael, wenn es ein Junge wird.«
»Michael? Warum?«
»Frag deine Frau. Sie weiß es.«
Da schwieg er, und sein Blick ging durch mich hindurch. Doch dann reichte er mir die Hand und sagte: »Gut. Michael. Aber wenn es ein Mädchen wird, nenne ich es Nino und weiß auch warum.«
Er wandte sein Pferd und trabte davon. Ich rief ihm nach: »Nicht Nino, Vater! Meine Schwester soll glücklicher werden, als meine Mutter es war!« Aber er kehrte sich nicht noch einmal nach mir um, und als die Hufschläge seines Pferdes in der Ferne verhallten, kam es mir zu Bewusstsein, dass die letzten Worte, die wir miteinander gewechselt hatten, georgische gewesen waren.
Venedig. Von dieser Stadt macht sich niemand eine Vorstellung, der sie nicht gesehen hat. Bei keiner, die ich bis dahin besucht hatte, drängte sich mir der Vergleich mit Samarkand so sehr auf wie bei dieser: hier wie dort ein buntes Treiben von Menschen aller möglichen Völker, aller möglichen Zungen. Ich hörte sogar, zum ersten Mal seit langer Zeit; arabisch sprechen und wäre dem Beturbanten am liebsten um den Hals gefallen, besann mich aber, dass mir das doch wohl nicht anstünde, und erstickte auch einen Zuruf, der sich mir auf die Lippen drängte. Hier wie dort Bauten von solcher Pracht und Herrlichkeit, dass man verstummt, wenn man ihrer ansichtig wird. Hier wie dort ein Gewirr von Gassen und Gässchen, in das sich kaum ein gut gekleideter Mann verirrt, in dem hinter schmutzigen Mauern das Elend brütet und so manches Verbrechen. Hier wie dort.
Aber dann der Unterschied: Dort diese grelle Sonne, die die Farben ebenso zu wecken wie auszubleichen versteht, diese Trockenheit, die selbst die größte Hitze noch immerhin erträglich macht und den Sternen einen Glanz, dem nächtlichen Himmel einen Zauber verleiht, wie man ihn sonst nirgendwo findet. Hier die von Feuchtigkeit geschwängerte Luft, die das Licht so sanft einfließen, die Farben so verschwimmen lässt und die Mauern und Türme mit einem fast unmerklichen Dunst umfächelt wie mit einem durchsichtigen Schleier, der die Schönheit eines Frauengesichts nicht verhüllt, sondern erhöht. Doch macht diese Feuchtigkeit die Hitze unerträglich, und wehe den Elenden, die in den Kerkern Venedigs unter Bleidächern schmachten! Dort der Staub, der, vom Wind aufgewirbelt, durch Mund und Nase dringt. Hier das Wasser, das, oft übel riechend genug, sich durch Gassen und Gässchen an den Hausmauern entlangzwängt und häufig nicht einmal einen Gehsteig freilässt.
Dort der Ruf des Muezzins von den Minaretten. Hier der Ruf der Glocken von den Türmen. Einladung zum Gottesdienst hier wie dort.
Dort der edelsteingeschmückte Turban des Sultans. Hier der mit Juwelen besetzte Stirnstreifen an der hohen Mütze des Dogen. Dort zerlumpte Derwische, hier Bettelmönche in schäbigen Kutten. Vergeudung und Elend – hier wie dort!
Hans und ich blieben indessen nicht lange in Venedig. War es doch mittlerweile Herbst geworden, und wir wollten den Beginn des Studienjahres an der Universität von Padua nicht verpassen, wo wir uns, fristgemäß binnen vierzehn Tagen immatrikulieren mussten.
Man schrieb mich, ohne mir die geringsten Schwierigkeiten zu machen, in die Matrikel ein als Georgius Covarus, Sohn des Stefanus Covarus aus Hungaria.
Ich bin in meinem Leben selten so unbeschwert, so froh gesinnt, ja glücklich gewesen wie in den Jahren, die nun folgten. In Padua genossen die Studenten ein ganz anderes Ansehen als die Scholaren in Weißenburg. Denn die Stadt war stolz auf den guten Ruf, den ihre Hohe Schule im ganzen Abendland genoss, und die Stadtväter hüteten sich, die Privilegien anzutasten, die die Freiheit und Selbstständigkeit der
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