Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
Vom Netzwerk:
entschlüpft waren, erschrak ich sehr. Denn außer meinem Freund Hans wusste hier niemand etwas von meiner Vergangenheit, und ich hatte nach den eindringlichen Ermahnungen meines Vaters auch vor, sie niemandem weiter preiszugeben. Hoffentlich hatte der Doktor diese verräterische Bemerkung überhört.
    Doch das hatte er nicht. Er sah mich lange an, musterte mich von oben bis unten und fragte endlich: »Woher kommst du denn, mein Freund?«
    Nun war ich es, der sich nach allen Seiten umsah. Als er es merkte, sagte er: »Gehen wir zu mir nach Hause, dort können wir in Ruhe miteinander sprechen.«
    Giovanni Salfini besaß ein Haus in der Nähe der Piazza del Santo. Seine Frau trat uns entgegen, eine schöne, rotblonde, große Erscheinung, und als sie sah, dass ihr Mann einen Gast mitbrachte, rief sie: »Giulietta, bringe doch einen Krug Gulef Julapium, das wird den Herren wohltun bei dieser Hitze.«
    Gulef Julapium ist ein in Padua sehr beliebter Trank, der aus Honigwasser und Obstsäften gemischt wird, kein Zweifel, dass er mir wohltat. Noch wohler aber tat mir, in die Augen des anmutigen Kindes zu sehen, das ihn uns kredenzte. Giulietta war, wie ich bald erfuhr, die Nichte des Hausherrn. Sie hatte vor etlichen Jahren bei einer Pestepidemie ihre Eltern verloren und lebte nun im Hause des Oheims, der selbst kinderlos war.
    In Anbetracht des herzlichen Empfanges, in Anbetracht auch dessen, dass es doch eine besondere Ehrung für mich, einem dem Doktor noch fast fremden Schüler, bedeutete, in sein Haus eingeführt zu werden, brachte ich es nicht über mich, ihm mit Unwahrheiten zu kommen. Und als er erfuhr, dass ich Schüler der Medrese in Samarkand gewesen war, leuchteten seine Augen.
    »Dich hat mir Gott geschickt!« rief er aus, trat zu einer Nische in der Wand, die seine Bücherschätze barg, holte einen Band hervor und legte ihn aufgeschlagen vor mich hin. »Kannst du dieses lesen?«
    Arabische Buchstaben! Ein arabischer Text! Fast versagte mir die Stimme.
    Als ich ihm einige Sätze vorgelesen hatte, unterbrach er mich. »Gut, gut! Leider verstehe ich kein Wort. Bitte, übersetze es mir.«
    Das ging nun zwar weniger fließend, aber immerhin, es ging.
    »Stimmt es, dass dieses ein Werk von Averroes ist?«
    Averroes? Wer sollte das sein? Ich hatte diesen Namen noch niemals gehört.
    Ich schlug die Titelseite auf, und: »Nein. Ibn Ruschd heißt der Verfasser. Das ist der berühmte Arzt und Philosoph aus Cordoba, dessen Schriften aber von unsern Fakihs sehr angefochten werden, weil sie, wie man sagt, der Lehre des Korans nicht entsprechen.«
    »Also doch Averroes. Und man verketzert ihn bei euch ebenfalls? Nun, dann wollen wir sehen, inwieweit seine Schriften auch den Lehren unserer ›Fakihs‹ zuwiderlaufen.«
    So wurde mein Doktor mein Schüler, denn er wollte unbedingt Arabisch lernen, und stundenlang saßen wir über unserm »Averroes« (sie müssen ja nun einmal im Abendland alle die arabischen Namen verdrehen!), und ich las vor und übersetzte, und er sprach nach, und ich brachte ihm die Schriftzeichen und die Grammatik dieser Sprache bei, so gut ich es verstand.
    Je tiefer wir aber eindrangen in dieses tiefsinnige Werk, desto klarer wurde es uns, warum die christlichen Theologen es ebenso wenig anerkennen wollten wie die islamischen.
    Wie – es sollte keine Unsterblichkeit der Einzelseele geben, sondern nur einen überpersönlichen unsterblichen Geist? Dann bräche ja das ganze Gebäude zusammen, an dem die Kirchenväter wie die Heiligen und Mönche, die Fakihs und Ulema wie die Derwische gebaut hatten seit Hunderten von Jahren.
    Wie ich den Doktor Giovanni gebeten hatte, meine Herkunft geheimzuhalten, so bat er mich nun, zu verschweigen, dass er ein Buch besitze und übersetze gleich diesem. »Es könnte mich teuer zu stehen kommen, wenn das Heilige Offizium davon erführe.«
    Das Heilige Offizium? Als ich meinen Lehrer fragte, was das denn sei, sah er mich an wie ein dem Dschungel entsprungenes Fabeltier. »Du hast noch niemals etwas vom Heiligen Offizium gehört? Dem obersten Ketzergericht?«
    »Aber dem unterstehen wir doch nicht! Hat nicht schon Kaiser Barbarossa auf dem Ronkalischen Reichstag …?«
    »Hör auf, hör auf! Dieses Lied wird so oft gesungen, dass einem die Ohren davon sausen. Dringt aber doch nicht in die Zellen der Minoriten, die dem Heiligen Offizium vorstehen. Denn sie haben von den Päpsten das Privilegium, jeden, der ihre Arbeit hindert oder erschwert, vor ihr Gremium zu ziehen. Jeden!

Weitere Kostenlose Bücher