Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Unsanftes abgekriegt, wenn sich nicht Hans vor ihn gestellt und dem Jähzornigen zugerufen hätte: »Befürchtest du einen Waldbrand, amice, weil du einen Leuchtkäfer gesehen hast?«
Alles lachte, und der Biberbemützte steckte seinen Degen in die Scheide. Und sagte: »Dein Licht, Leuchtkäfer, ist eines von denen, die man am besten unter einen Scheffel stellt.«
Ja, viele Studenten, besonders die Edelleute, trieben Aufwand mit ihren Kleidern, und die Schneider von Padua hatten viel zu tun. Hans und ich aber hatten uns nichts anderes bei ihnen bestellt als einen langen braunen Rock mit einer Gugelhaube, wie ihn die Studenten trugen, die nicht zum Singen und Saufen, nicht zum Kegeln und Würfelspielen, sondern zum Lernen nach Padua gekommen waren.
Wir teilten ein Zimmer miteinander und aßen von einem Tisch. Bald hatte ich mir das Trivialwissen angeeignet und besuchte nun mit Hans zusammen die Unterrichtsfächer des Quadriviums. Brannte ich doch darauf, endlich so weit zu sein, dass ich mich der Medizin zuwenden könnte.
Geldsorgen hatten wir keine. Martin Trautenberger ließ uns das, was wir brauchten, durch seinen Handelspartner in Venedig zukommen, und unsere Väter geizten nicht und ließen uns nichts entbehren.
So war es mir auch endlich möglich, die Vulgata zu erwerben, diese Übersetzung der Heiligen Schrift ins Lateinische, deren Name mir fast wie ein Hohn vorkam, denn vulgus heißt ja Volk, und gerade dem Volk gab man sie nicht in die Hand. Selbst den Gebildeten ist es schwer genug gemacht, sie sich zu beschaffen, denn sie ist ja viel umfangreicher als der Koran, eine Abschrift entsprechend teuer. Ich sparte zwei Jahre, bis ich das Geld zusammen hatte, das der Mönch, der sie mir verkaufte, dafür verlangte – doch es reute mich nicht.
Nein, es reute mich um so weniger, je tiefer ich in den Text der Evangelien eindrang. (Ans Alte Testament ging ich erst viel später.) Oft las ich Stellen, die mich besonders ergriffen, meinem Freund vor, und es knüpften sich lange Gespräche daran. Doch als wir die Bergpredigt Jesu in ihrem vollen Wortlaut vor uns hatten, war es keinem von uns möglich, aus der Fülle von Gedanken und Empfindungen, die auf uns einstürmten, einen einzigen herauszulösen, sodass wir an jenem Abend schweigend zu Bett gingen und mich die Worte Muhammads: »Isa Ben Mariam ist ein Prophet – doch wie sehr haben die Christen ihn missverstanden« überfielen und mir den Schlaf raubten.
Die Jahre verstrichen wie im Flug. Ungetrübt blieb unsere Freundschaft. Auch die Ferien verbrachten wir miteinander. An eine Heimreise war bei der großen Entfernung freilich nicht zu denken, dazu war der Sommer zu kurz. Doch bot Italien der Schönheiten ja genug: Venedig, Mailand, Florenz, Pisa, Genua – nicht möglich, alles aufzuzählen, was wir in vollen Züge genossen haben.
Dann allerdings schlug die Abschiedsstunde. Hans wollte in Bologna weiterstudieren, weil dort die Rechtswissenschaften am gründlichsten gelehrt wurden, ich aber konnte mich nicht entschließen, ihn zu begleiten. Ich hatte meinen Lehrer gefunden.
Doktor Giovanni Salfini war noch keine vierzig Jahre alt, aber doch schon einer der geschätztesten Mediziner unserer Universität. Er las über die Schriften des Galenus, und was mich vor allem fesselte, waren seine kritischen Äußerungen über dessen Anatomie. Galenus habe nur Tierkadaver seziert, sagte er, doch wenn man über den menschlichen Körper Genaueres wissen wolle, müsse man seine Kenntnisse durch die Sektion menschlicher Leichen erweitern.
Mir schien das so einleuchtend zu sein, dass ich ihn nach der Vorlesung abpasste, um ihn zu fragen, warum denn das nicht schon längst geschehen sei. Er sah sich zuerst nach allen Seiten um, ob uns auch niemand zuhöre, und als er sich überzeugt hatte, dass keiner in der Nähe stand, sagte er leise: »Die Pfaffen sind dagegen.«
»Dagegen? Ja, liegt es denn nicht auf der Hand, dass man bei besserer Kenntnis der Anatomie auch den Leiden des Körpers besser beikommen kann? Davon müsste man sie doch überzeugen können.«
»So versuche es. Und überzeuge sie auch davon, dass man nicht alle Leiden mit Medikamenten und sanften Methoden heilen kann, dass manchmal auch blutige Eingriffe notwendig sind.«
»Verbieten sie denn auch die?«
»Das nicht geradezu. Aber sie sehen es nicht gern.«
»So führen die Ärzte des Abendlandes keine Aderlässe durch, setzen keine Schröpfköpfe wie bei uns?«
Als mir diese letzten Worte
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