Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
geführt, ohne dass ich acht darauf gab, wohin. So wusste ich nicht, wo ich mich befand, wusste nicht, was ich suchte oder wollte, hatte nicht einmal bemerkt, dass die Nacht hereingebrochen war. Da hörte ich plötzlich ganz in der Nähe Hilferufe, Schreie, wie ein Mensch sie in Todesnöten ausstößt.
Ich sah mich um, konnte aber niemanden erblicken. Waren noch Leute zu dieser Stunde auf der Straße, so hatten sie schleunigst das Weite gesucht, denn in Zeiten gleich dieser lockt ein Hilferuf die Menschen nicht an, sondern verscheucht sie. Mir aber war er willkommen: ein Mensch, der mich brauchte! Der meine Gedanken vom eigenen Elend abziehen konnte!
Ich ging also den Schreien nach, sie wurden leiser, verstummten plötzlich ganz. Ich bog um eine Ecke und stolperte fast über einen menschlichen Körper, der vor mir lag. Ich beugte mich über ihn und sah, dass ihm ein Dolch zwischen den Rippen saß. Aber er atmete noch.
Keine Menschenseele weit und breit. Er musste verbluten, wenn ihm niemand half.
Vorsichtig zog ich die spitze Waffe aus seinem Leib. Das Herz war unverletzt, es schlug, wenn auch nur schwach. Ich stopfte einen Zipfel seines Hemdes in die Wunde, und es gelang mir, das Blut zu stillen. Und dann versuchte ich zu ergründen, wo wir waren.
Als ich mich umsah, merkte ich: Meine Beine waren vernünftiger gewesen als mein Kopf. Sie hatten mich im Kreis herumgeführt, und ich befand mich zu Füßen der Stiege, die zur Kirche unserer Lieben Frau hinanführt – zur Kirche der Santa Maria in Aracoeli. So hob ich denn den Körper des Verwundeten auf und trug ihn in meine Kammer. Niemand hatte mich dabei beobachtet.
Tief in der Nacht erwachte der Fremde aus seiner Ohnmacht. Ich hatte ihn auf meinen Strohsack gebettet und lag selbst am Boden neben ihm, mein Lager war hart, und das erleichterte mir das Wachbleiben.
Als er stöhnte, legte ich ihm die Hand auf die Stirn und flüsterte: »Bleib ganz ruhig! Ich bin Arzt, habe deine Wunde verbunden, sie ist nicht tödlich, du wirst bald gesund sein.« Da erwiderte er – so leise, dass ich es fast nicht verstand: »Ich danke dir. Du bist ein guter Mensch. Aber verrate niemandem, wen du beherbergst, du gefährdest sonst dich und mich.«
»Und wen beherberge ich?«
»Das weißt du nicht? Oh, dann wird es besser sein, wenn du es auch nicht erfährst!«
Diese Worte beunruhigten mich sehr. Doch wollte ich nicht weiter in den Schwerverletzten dringen – seine Wunde war durchaus nicht so ungefährlich, wie ich ihm zu seiner Beruhigung vorgetäuscht hatte, es bedurfte großer Sorgfalt und ärztlicher Kunst, aber dessen nicht allein: einer sehr kräftigen Natur, ihn wieder auf die Beine zu bringen, denn »medicus curat, natura sanat«.
Ich war vorsichtig genug, die Anwesenheit meines Gastes niemandem zu verraten, was nicht weiter schwierig war, da ich meine Kammer sowieso selbst in Ordnung zu halten pflegte und sie beim Verlassen stets verschloss. Mario aber so nannte sich mein Pflegling – hütete sich sehr sorgsam davor, sich von jemandem erblicken zu lassen.
Dazu noch machte ich am nächsten Tage vor den Leuten der Wirtsstube die Bemerkung, ich hätte am vergangenen Abend gesehen, wie ein Mann in der Nähe unseres Hauses niedergestochen worden sei. Ich hätte mich freilich gehütet, mich in die Händel einzumischen, und den Toten liegen gelassen. Doch wären nicht lange danach Männer gekommen, die die Leiche weggeschleppt hätten. Vermutlich, um sie in den Tiber zu werfen.
»Ja«, sagte einer der anwesenden Fischer, »die Leiche eines erdolchten Mannes hat man des Morgens im Tiber gefunden.«
»Und wie war sie bekleidet?«
»Nackt. Sogar seine Kleider haben ihm die Mörder geraubt.«
Und nach einigen Tagen brachte Antonio dann die Neuigkeit aus der Stadt: »Mario Petruzzi ist ermordet und in den Tiber geworfen worden.«
Die ganze Stadt atmete auf. Mario Petruzzi war einer der gefürchtetsten Wegelagerer und Räuber, der je die Campagna unsicher gemacht hatte. Und während des Bürgerkrieges hatte er das Feld seiner Tätigkeit nach Rom verlegt.
Ich ging in meine Kammer und sagte, ohne meinen Gast anzusehen: »Man erzählt sich, dass Mario Petruzzi ermordet und in den Tiber geworfen worden ist.«
Mario richtete sich halb auf. »Heute Nacht werde ich dies Haus verlassen«, murmelte er, brachte fast nicht die Zähne auseinander. »Du hast nun lange genug auf den nackten Dielen geschlafen.«
»Heute Nacht nicht. Erst wenn du völlig genesen bist. Du fieberst ja
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