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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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Verwandtschaft.
    »Komm mit mir«, sagte er, »wenn du magst, erzähle ich dir, wer ich bin.«
    Er wohnte nicht weit von meiner Herberge, am entgegengesetzten Abhang des Kapitolinischen Hügels. Ich trat in ein Haus ein, das sich zwischen Ruinen versteckte, innen jedoch schön und wohnlich eingerichtet war.
    Er stammte aus Granada, aber seine Vorfahren waren nicht Araber, sondern Juden gewesen. Doch war er nach Toledo ausgewandert und dort zum Christentum übergetreten.
    »Warum? Die Tage der Araber in Granada sind gezählt. Schon zahlt ihr Emir dem König von Kastilien Tribut, und der Druck, den die Christen auf diese letzte Bastion des Islams in Spanien ausüben, wird immer stärker.
    In Toledo aber können sich die Juden nicht vor Verfolgungen schützen. Viele, die sich nicht taufen lassen wollen, wandern aus, gehen nach Deutschland und weiter nach dem Osten. Ich jedoch habe das Christentum angenommen, nicht weil ich mich vor einem unsteten Wanderleben fürchtete, sondern weil ich der Sache auf den Grund gegangen bin. Ich bin im Alten Testament erzogen. Dann bin ich Moslem geworden und habe den Koran studiert. Und zum Schluss habe ich das Neue Testament gelesen und wieder gelesen.
    Muhammad behauptet, die Juden hätten Moses missverstanden und die Christen Jesus. Dazu kann ich nur sagen: Die Christen haben ihren Jesus viel mehr missverstanden als die Juden ihren Moses!
    Jesus von Nazareth – wo in aller Welt gibt es eine Gestalt, die ihm vergleichbar wäre? Als ich sie in mein Herz aufgenommen hatte, bin ich nach Rom gegangen, um ins Zentrum der Christenheit vorzustoßen. Und was fand ich hier? Sag es selbst: Muss nicht Jesus Christus in Wahrheit der Sohn Gottes sein, wenn seine Kirche selbst durch die größte Verkommenheit, selbst durch die unglaublichsten Missstände nicht erschüttert werden kann?«
    Das war ein Argument! Ein Mensch, der zu so kühnen Gedankengängen fähig war, konnte vielleicht auch meine äußerst verworrene Lage durchschauen und mir mit seinem Rat helfen. So vertraute ich mich ihm an.
    »Eine baldige Erledigung deines Antrages ist kaum zu hoffen«, meinte er, »und ich würde dir auch nicht raten, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, ehe sich die Gemüter hier etwas beruhigt haben, ehe der neue Papst etwas fester sitzt auf seinem Heiligen Stuhl. Aber hoffnungslos ist dein Fall nicht. Das Geld, das du bis zur Stunde daran gewendet hast, wirst du freilich in den Wind schreiben können – die meisten Beamten Martinis des Fünften werden durch Kreaturen Eugenii des Vierten ersetzt werden, soweit das nicht schon geschehen ist. Selbst wenn sich also das Blatt Papier mit deiner Eingabe finden sollte – was unwahrscheinlich genug ist, die darin eingewickelten Goldstücke finden sich gewiss nicht. Aber wenn du Geduld hast und deine Zeit abwarten kannst …
    Wovon du leben sollst? Nun, du könntest dich ja zum Beispiel in die Zunft der Bartscherer aufnehmen lassen. Das ist keines der sogenannten ehrsamen Handwerke, verlangt also auch nicht den Nachweis der ehelichen Geburt. Bartscheren und Haarfärben erlernt sich schnell; Zähne zu ziehen und zur Ader lassen verstehst du bereits, und die Wundbehandlung, die dir in Zeiten wie diesen eine große Kundschaft zuführen wird, ebenfalls. Wenn du willst, verschaffe ich dir fürs Erste eine Anstellung. Mein Barbier klagt, dass er der vielen Verletzten wegen sehr überlaufen ist, er wird froh sein, wenn er einen Gesellen wie dich bekommt. Nachher kannst du dich selbstständig machen. Du wirst Zutritt finden bei vielen einflussreichen Herren. Das kann dir nützlich werden.«
    Wir verabredeten, wann ich mich bei ihm einstellen und erfahren sollte, ob seine Bemühungen Erfolg gehabt hätten, und ich ging getröstet nach Hause.
    Auch für dich ist Hoffnung, Mario Petruzzi, wollte ich meinem Schützling sagen. Da dein geschändeter Name den Tiber hinunter schwimmt, kannst du jetzt einen andern annehmen und als ein Wiedergeborener dich mir anschließen. Ich habe keine Angst vor dir, du wirst mir nicht Schande machen.
    Doch als ich die Tür zu meiner Kammer aufstieß, war sein Lager leer. Ich hatte, als ich das Haus verließ, vergessen abzusperren, und Mario war ohne Abschied von mir gegangen.
    Über die beiden nächsten Jahre ist nicht viel zu berichten. Mein neuer Freund – er hatte als Jude Simon geheißen, Sohn des Manasse, nun nannte er sich Pietro Toledani – war Seidenhändler und hatte viele Beziehungen. So verschaffte er mir nicht nur die Stelle als

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