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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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dich darauf, dass er nicht mehr lange lebt.«
    »Ach, Mario, zu all deinen Todsünden willst du noch eine hinzufügen?«
    »Für alle meine Todsünden habe ich mir Ablass erworben. Auch für diese würde ich ihn mir erkaufen.
    Aber selbst wenn es ein Kardinal wäre – ja, der Papst in eigener Person – und die Sünde nicht vergeben werden könnte, durch keine Buße und durch keinen Ablass: Für dich würde ich sie begehen.
    Ich habe schon viele, denen ich Böses tat, weinen gemacht. Aber um mich …
    Noch nie hat ein Mensch um mich geweint.«
    Plötzlich standen vor mir die Worte der Heiligen Schrift: »Alle Sünden können vergeben werden, nur die Sünden wider den Heiligen Geist können nicht vergeben werden.« Und wer beging nun eine solche Sünde? Der Mörder, der die Ablassbriefe kaufte, oder der Bischof, der sie ihm verkaufte? Und ihn damit zu immer neuen Todsünden ermutigte?
    Siedend heiß wurde mir bei diesem Gedanken, der eine Menge anderer, nicht weniger aufwühlender, zur Folge hatte. Es war mir, als ob jener Stein sich aus dem Gewölbe löste, der den ganzen Bau zum Einsturz bringen konnte. Wie stickig die Luft auf einmal war, wie eng die Kammer! Ich sagte: »Schlaf jetzt, Mario, es wird dir guttun. Schlaf dich gesund. Ich will noch einmal ausgehn. Komme bald wieder.« Und trat zur Tür hinaus.
    Der Abendwind, der vom Meere wehte, kühlte meine heiße Stirn. Doch ging ich nicht weit. Auf der Treppe, die zur Kirche der heiligen Gottesmutter hinanführte, bewegten sich Gestalten. Glaubt man doch in Rom, dass die Gebete derjenigen, die kniend die hundertvierundzwanzig Stufen erklimmen, erhört und insbesondere die Frauen von den Misshandlungen ihrer rohen Ehemänner erlöst werden. Wie oft hatte ich dieses Bild schon gesehen: alte und junge Gesichter, hässliche und schöne, weinende und in tränenlosem Elend erstarrte. Nun sah ich nicht nach ihnen hin – nun gesellte ich mich zu ihnen. Es zog mich auf die Knie, meinen Lippen entströmten die Worte wie von selber – längst vergessen geglaubte Worte, Worte, wie sie die Heilige Jungfrau noch nie zu hören bekommen hatte. Sie flössen aus meinem Herzen wie ein Wasser, das, lange aufgestaut, die Höhe des Dammes erreicht hat und zu Tale fällt.
    »Ich flüchte mich zu dem Herrn der Menschen, dem König der Menschen, dem Gott der Menschen, vor dem Bösen, dem Einflüsterer, dem Seelenverdüsterer, der die Brust der Menschen verwirrt. O mein Gott, ich flüchte mich zu dir vor dem Bösen, womit die Tage und die Nächte schwanger gehn.
    O mein Gott, ich flüchte mich zu dir vor Härte und Nachlässigkeit, vor Niedertracht und Elend, vor Laster, Hader und Heuchelei, vor Neid und Schadenfreude, vor dem Bösen, das ich kenne und das ich nicht kenne, vor dem Bösen, das ich tue und das ich nicht tue, vor dem Fernsein deiner Gnade, dem Ausbleiben deiner Wohltaten. O mein Gott, ich flüchte mich zu dir vor jeder unbewachten Handlung, vor jeder unbedachten Hoffnung, vor jeder Armut, die mich dich vergessen macht, vor jedem Reichtum, der mich verführt, mich wider dich zu empören!«
    Stufe um Stufe war ich so kniend emporgestiegen, während mein Mund dieses Gebet sprach, das ich noch vom Chodscha in Ben Nisams Hause gelernt hatte. Ich vergaß die Umgebung, in der ich mich befand, bedachte nicht, wie ganz und gar ungewöhnlich, wenn nicht gar unpassend diese arabischen Worte hier empfunden werden mussten, wenn jemand mir zuhörte – aber ich fuhr zusammen wie von einem Schlag getroffen, als ich plötzlich einen Mann vor mir sah, der mein Gebet in ebender Sprache zu Ende führte: »O mein Gott, ich flüchte mich zu dir! Gewähre mir Zuflucht bei dir!«
    Ich sprang auf die Füße und blickte ihn an. Ein schmales, scharf geschnittenes Gesicht, wie es die Söhne Abrahams haben, umrahmt von schwarzen Locken und einem Bart, in den sich graue Fäden mischten. Eine schlanke, mittelgroße, ungebeugte Gestalt. Klare dunkle Augen, die mich musterten. Ein Moslem? Ein Araber? Ich musste es annehmen, da er mich arabisch ansprach. Doch einen Turban trug er nicht. »Wer bist du, sonderbarer Mensch«, fragte er, »dass du dich mit einem solchen Gebet auf den Lippen der Kirche der Heiligen Jungfrau näherst?«
    »Dasselbe könnte ich dich fragen, der du hier stehst und ein solches Gebet zu Ende führst.«
    Wir tasteten uns mit den Blicken ab. Jeder las in denen des andern etwas von der Fremdheit, dem Nirgendwo-zu-Hause-Sein, dem Überall-Fuß-fassen-Wollen, und spürte die innere

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