Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
noch.«
Da verlor er die Beherrschung und die Vorsicht und rief: »Warum tust du das an mir? Du weißt doch, wer ich bin! Hast du keine Angst, mit mir an einen Galgen zu kommen, wenn man erfährt, dass du mich versteckt hältst?«
»Angst schon. Aber …«
»Ich weiß, du bist ein Heiliger. Aber ich bin ja nicht unter die Räuber gefallen, sondern selbst ein Räuber.«
»Kann aber einer ein Räuber werden, ehe er unter die Räuber fiel?«
Da sank er aufs Lager zurück und vergrub seinen Kopf in die Hände.
Lange lag er so, stumm, wie erstarrt. Dann brachte er sie heraus, die Geschichte seines Lebens, die Beichte seines Lebens.
Ein Bastard war er, ein Hurenkind. Sein Vater, ein angesehener Mann, verleugnete ihn, seine Mutter, die Tochter einer Pfaffendirne, die dieser noble Herr in Schande und Elend gebracht hatte, zog bald darauf mit einem ebenso noblen auf und davon und kümmerte sich nicht mehr um ihn. Als Bettelkind wuchs er groß, schlief öfter unter freiem Himmel als unter einem Dach, und wann gar auf einem Strohsack? Bald zog er andere Bettelkinder an sich, deren Anführer er wurde, bald bettelten sie nicht nur, sondern stahlen, was ihnen unter die Finger geriet, und als sie die nötige Kraft in den Fäusten spürten, blieb es auch nicht mehr beim Stehlen.
»Was hätte ich tun sollen, um mein Leben zu fristen? Kein Handwerker nimmt einen Spurius in die Lehre, keine ehrsame Zunft nimmt ihn auf. Niederste Dienste zu tun – ja, dazu wäre ich ihnen gut genug gewesen – Ställe ausmisten, Ruderknecht sein, doch dazu bin ich mir zu gut! Mein Vater ist ein Orsini, wenn du es wissen willst, der Vater meiner Mutter war ein Prälat. Meine Geschwister gehen in Samt und Seide, aber sie hetzten die Hunde auf mich, als ich einmal, als Kind noch, an ihrer Tür bettelte.
Nicht einmal Kriegsdienst hätte ich nehmen, nicht einmal meine Knochen für diese Herren zu Markte tragen können! Kein Söldnerführer nimmt einen Spurius in die Schar seiner Knechte auf. Man gönnt uns kein ehrliches Leben und nicht einmal einen ehrlichen Tod!
Oh, ich bin viel herumgekommen, habe studiert – nein, nicht die Bücher, aber die Welt! Überall zeigte sie mir das gleiche Gesicht – was sage ich: die gleiche Fratze! Glaubst du, in Deutschland teilt man die Menschen nicht auch ein in ehrbare und unehrliche? In Worms war ich eine Zeit lang Gehilfe eines Henkers. Die Richter sind die Ehrbaren, die Henker die Verachteten. Und doch kann der Henker mehr Mitleid haben mit dem armen Sünder, den er aufs Rad flechten muss, und er kann ihm mit einem geschickten Schlag das Rückgrat brechen, sodass er gleich tot ist und nicht mehr spürt, wie seine Glieder gebrochen werden, während der Richter mit seinem Urteil kalten Herzens alle Qualen, die ein menschliches Hirn ausdenken kann, über ihn verhängt hat.
Auch in Deutschland gibt es Bastarde von Adligen mehr als genug. Wer kennt dort nicht Otmar und Heinrich, die Söhne des von Blumenegg oder Hensli von Wessenberg, den man den wilden Bankert nennt? Alle treiben sie den Krieg auf eigene Faust. Als ich sah, dass mir dort auch kein anderes Leben blühte, beschloss ich, meinen Galgen lieber in der Heimat zu suchen. Du siehst es ja: Wem der Strick bestimmt ist, den tötet kein Dolch.
Warum weinst du denn? Wein doch nicht – o wein doch nicht, ich bin es ja nicht wert!«
Es blieb lange Zeit still zwischen uns, denn ich hatte Mühe, meine Fassung wiederzugewinnen. Es lag mir auf der Zunge, zu erwidern: Nicht über dich weine ich, Mario, sondern über mich, denn ich bin ein Spurius gleich dir. Doch ich brachte es nicht über die Lippen. Und es stimmte ja auch nicht. Mein Vater hatte mich nicht verleugnet, meine Mutter mich nicht verlassen. Herangewachsen war ich unter Menschen, die mich achteten und förderten, mich in alle Höhen des Geistes, in alle Tiefen der Seele einen Blick tun ließen. Was aber wäre ich, wenn ich eine Kindheit gehabt hätte gleich der seinen? Oder sollte ich sagen: Nicht über dich weine ich, sondern über jene, die es Zu verantworten haben, dass du ein solches Leben führen musstest? Aber würde er das verstehen können?
Als ich auf seine Worte keine Erwiderung fand, sagte er: »Ich kann dir deine Wohltat nicht vergelten. Sie haben mich um die Beute betrogen. Dieser pockennarbige Schuft, der Jacopo, wollte mir nicht lassen, was mir gebührt. Er war es; auch, der mich so zugerichtet hat.
Aber wenn du einen Feind hast, Giorgio, wer immer es sei sag es mir und verlass
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