Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
geachteter Mann zu sein, eine Familie zu gründen und ein menschenwürdiges Leben zu führen.
Und eines Tages war es dann soweit, dass mir Pietro Toledani riet, meinem Bittgesuch bei der Kurie Nachdruck zu verleihen.
»Die Nachwehen des Bürgerkrieges sind abgeklungen«, sagte er, »Eugenius der Vierte sitzt ziemlich unangefochten in seinem Palast, hat strahlenden Gesichtes zu Ostern seinen Segen urbi et orbi erteilt, ohne dass sich aus der großen Menschenmenge, die zusammengeströmt war, auch nur eine einzige Stimme gegen ihn erhoben hätte. Und auch für dich habe ich gute Nachricht. Lucas Gentili, einer der tüchtigsten Advokaten Roms, will sich deiner Sache annehmen. Er braucht meine Vermittlung in einer andern Angelegenheit und da eine Hand die andere wäscht … Also kurz gesagt, dieser Messer Gentili hat Beziehungen zum Hause Orsini, und das Haus Orsini hat Beziehungen zum neuen Camerlengo des Papstes. Nun geh hin und lass dir eine neue Bittschrift aufsetzen.«
Ich befolgte den Rat meines Freundes, Lucas Gentili reichte mein Gesuch – etwas modifiziert, den bei der Kurialkanzlei gängigen Termini besser angepasst – ein zweites Mal ein, und ich schöpfte neue Hoffnung.
Nein, beim besten Willen konnte ich die Bitten der armen Wesen, die mich um Hilfe anflehten, nicht erfüllen.
Eines späten Abends klopfte es an meine Tür. Ich schreckte auf, fuhr in die Kleider, öffnete und war gefasst, zu einem Verunglückten gerufen zu werden. Doch es handelte sich um etwas ganz anderes.
Ein vornehm gekleideter Herr betrat mein Zimmer. Er nannte nicht seinen Namen, sondern sagte nach kurzem Gruß in einem Ton, der mehr befehlend als bittend klang:
»Ich brauche deine Hilfe. Meine Tochter ist schwanger. Sie darf das Kind nicht zur Welt bringen. Du wirst wissen, wie das zu verhüten ist.«
»Herr«, erwiderte ich bestürzt, »ein solcher Eingriff hat schon mancher Frau das Leben gekostet.«
»Auch im Kindbett sind schon viele gestorben.«
»Gewiss. Aber dann war es Gottes Wille, und kein Mensch hatte diese Sünde auf sein Gewissen geladen.«
»Du brauchst nicht zu befürchten, dass ich dir weniger Geld geben werde, als der Ablass für diese Sünde kostet.«
Schon wieder dieses entsetzliche Geschäft! Ich biss mir auf
die Zunge, um ihm nicht eine Beleidigung ins Gesicht zu werfen.
Er nahm mein Schweigen für eine Zustimmung und fragte: »Nun — wie viel?«
»Herr«, antwortete ich fest, »ich tu's nicht. Hab's noch niemals getan. Wer Euch zu mir geschickt hat, war falsch unterrichtet. Doch will ich Euch einen guten Rat umsonst geben: Vermählt Eure Tochter mit dem Vater ihres Kindes und erfreut Euch an Eurem Enkel.«
»Den Rat konntest du dir sparen. Der Bube, der meine Tochter geschändet hat, lebt nicht mehr!«
Ich hatte kein Licht gemacht, und der fahle Mondschein, der durchs Fenster drang, beleuchtete das Zimmer so spärlich, dass die Gesichtszüge des Fremden nicht zu erkennen waren. Aber etwas in seiner leidenschaftlichen Stimme klang mir bekannt, nur wusste ich nicht, an wen es mich erinnerte.
Stand hier ein Mann vor mir, der sich schon mit Blutschuld beladen hatte? Und nun vor der Zweiten, die ihm um so viel geringer zu sein dünkte, nicht mehr Zurückschreckte? Zorn und Verachtung erfüllten mich und gleichzeitig, mir selbst unverständlich genug, auch ein tiefes Erbarmen.
»Dann gibt es auch noch andere Möglichkeiten. Das Kind kann doch irgendwo zur Welt kommen, wo niemand Eure Tochter kennt. Und wenn das vorüber ist, nehmt Ihr sie wieder zu Euch und behütet sie besser.«
»Und was wird aus dem Kind? Ein Dieb – vielleicht ein Räuber? Weißt du nicht selbst am besten, was für ein Leben einen Spurius erwartet?«
»Wenn Ihr reich seid, Herr – und das seid Ihr doch wohl –, könnt Ihr Eurem Enkel das Leben sehr erleichtern, auch wenn niemand weiß, wer seine Eltern sind.«
»Du willst mir also nicht helfen?«
»Nein.«
»Das wirst du noch sehr bereuen.«
Mich floh in jener Nacht der Schlaf. Wer war der unheimliche Besucher gewesen? Und hatte er mit jener Bemerkung: »Das weißt du ja selbst am besten« auf meine Herkunft abgezielt? Ja, aber woher sollte er die denn kennen? »Woher? Nun, doch wohl aus der Kurialkanzlei. Dort ist sie ja aktenkundig«, antwortete der Antworter in meiner Brust.
Es ereignete sich indessen in den nächsten vierzehn Tagen nichts weiter, und ich hatte die Angelegenheit fast schon vergessen, als eines Morgens Antonio, der größte Neuigkeitskrämer in
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