Schatten ueber Broughton House
auf.
„Guter Junge“, lobte sie ihn. „Sitz.“ Sie zeigte auf den Boden.
Rufus setzte sich brav, und Megan kraulte ihn mit ihrer freien Hand hinter den Ohren. „Ja. Rufus . Guter Junge.“
„Potzblitz!“, rief einer der beiden Jungen, schlitterte über den Marmorboden und blieb genau neben dem Hund stehen. In einer Hand hielt er einen Karton, und Megan schloss aus den scharrenden Lauten, die daraus drangen, dass er wohl einige der Mäuse beherberge. „Rufus hat ja ganz genau gemacht, was Sie ihm gesagt haben! Das tut er sonst nie.“
Der andere Junge stieß einen triumphierenden Schrei aus und stürzte sich auf eine Maus, die sich unter dem Fransenbesatz eines vergoldeten Sitzmöbels hervorgewagt hatte. Nachdem er sich das kleine Tier in eine seiner Jackentaschen gesteckt hatte, kam er zu seinem Bruder herüber.
Megan schaute die beiden Jungen an. Das mussten die werten Sprösslinge sein, die bereits jeden Hauslehrer in ganz London vergrault hatten. Eigentlich wirkten sie gar nicht wie kleine Ungeheuer, fand Megan.
Sie waren Zwillinge, die sich wie ein Ei dem anderen glichen, und wenngleich sie nun ein wenig verwildert aussahen - ihr schwarzes Haar zerzaust, ein Schmutzstriemen auf der Stirn des einen und heraushängende Hemdschöße bei dem anderen -, waren sie zweifelsohne hübsche Jungen, deren grüne Augen leuchteten und eine aufgeweckte Intelligenz verrieten. Megan hatte zwei überhebliche und verwöhnte Jungen erwartet, aber für beide dieser unerfreulichen Eigenschaften konnte sie keinerlei Anzeichen in ihren Gesichtem entdecken. Stattdessen nahm sie freundliches Interesse wahr und sichtliche Bewunderung für ihr Geschick, den Hund zu handhaben.
„So schwer ist das gar nicht. Es kommt nur auf den Ton an, in dem man zu ihm spricht“, erklärte Megan. „Denn eigentlich möchte Rufus ja gern ein guter Hund sein.“
„Wirklich?“, fragte einer der beiden und musterte den Hund ungläubig.
„Aber ja. Ihr müsst ihm nur zeigen, wie das geht. Wenn er brav war, lobt ihr ihn, und wenn er sich schlecht benommen hat, schimpft ihr mit ihm. Ihr braucht nicht zu schreien, sollt aber mit fester Stimme sprechen, damit er versteht, dass ihr es ernst meint.“ Sie beugte sich zu dem Hund hinunter und streichelte ihm über den Kopf. „Nicht wahr, Rufus?“
Der Hund schlug zustimmend mit seinem Schwanz auf den Boden, schmiegte sich an ihre Hand und schaute schmachtend zu ihr auf. Megan tätschelte ihn noch einmal kurz und erhob sich dann.
„Ich bin Alex Moreland“, stellte sich der Junge, der den Karton unter dem Arm hielt, höflich vor. „Und das ist mein Bruder Con.“
„Sehr erfreut“, erwiderte Megan und schüttelte den beiden die Hand. „Mein Name ist Megan M... Henderson.“
„Miss Henderson. Es ist uns eine Freude, Sie kennenzulernen“, meinte Con mit ebenso ausgesuchter Höflichkeit.
„So ... ich glaube, die hier gehören euch.“ Megan hielt ihnen ihren Hut hin, dessen Krempe sie noch immer fest geschlossen hielt.
„Ja, Miss. Vielen Dank, dass Sie sie gefangen haben.“ Alex öffnete den Deckel seines Mäusekartons, und Megan schüttete ihren Fang hinein.
Con holte rasch noch ein paar weitere Mäuse aus den Taschen seiner Jacke und lächelte Megan dabei an. „Sie haben gar nicht geschrien oder so. Die meisten Frauen machen das.“
Er warf einen verächtlichen Blick in Richtung der Damen, denen der Lakai mittlerweile von ihrem Zufluchtsort heruntergeholfen hatte. Die ältere der beiden saß nun mit geschlossenen Augen zurückgelehnt auf der Bank und hielt sich stöhnend die Hand an die Stirn, während die junge Dame ihr eifrig Luft zufächelte.
„Nun, nicht alle sind derlei gewohnt“, meinte Megan schmunzelnd. „Ich hatte aber den Vorteil, mit drei Brüdern aufzuwachsen. Und weshalb lauft ihr eigentlich mit den Mäusen durch das Haus?“
„Wir wollen unsere Würgeschlange mit ihnen füttern. Eine Boa constrictor. Möchten Sie sich die Boa gerne anschauen?“ „Einen Papagei haben wir auch. Und einen Salamander und ein paar Frösche“, fügte Alex hinzu.
„Du lieber Himmel“, meinte Megan, „ich habe noch nie eine Boa gesehen. Das klingt aber interessant.“
Ihre Worte mussten zu der halb Ohnmächtigen vorgedrungen sein, denn mit einem leisen Schrei fuhr sie hoch und riss die Augen weit auf. „Eine Schlange! Hier, in diesem Haus?“
Die jüngere der beiden Damen sah sich so besorgt um, dass Megan sich fragte, ob sie wohl gleich wieder die Bank erklimmen
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