Schatten ueber Broughton House
wenn einem danach zumute ist.“
„Komm schon, Megan. Ich setze jederzeit darauf, dass du mit zwei verwöhnten Halbwüchsigen klarkommst. Du wirst das schon machen.“
„Niemals werden sie ihre werten Sprösslinge von einer Frau unterrichten lassen“, wandte Megan ein. „Nicht, wenn die Jungen schon so alt sind.“
„Ich sagte dir doch, dass sie händeringend jemand suchen. Sie sind verzweifelt. Zudem scheint die Duchess etwas sonderlich zu sein. Eine Freidenkerin, nach Pauls Worten. Glaubt an Frauen Wahlrecht, Gleichberechtigung und so was.“
Megan sah ihren Vater ungläubig an. „Eine Duchess mit solchen Ansichten? Dad, ich glaube, dieser Paul hat dich auf den Arm genommen.“
„Nun, das lässt sich ja ganz leicht herausfinden, nicht wahr?“ Mulcahey bedachte seine Tochter mit einem herausfordernden Lächeln.
Und weil sie keiner ihr gestellten Herausforderung je widerstehen konnte, straffte Megan die Schultern, hob die Brauen und meinte: „Wie wahr. Nun, wenn ich mich morgen um eine Stelle als Hauslehrerin bewerbe, sollte ich wohl besser jetzt zu Bett gehen, meint ihr nicht auch?“
2. KAPITEL
Am frühen Nachmittag des folgenden Tages fand Megan sich bei Broughton House ein. Am Fuße der großen Freitreppe, die zum Haus hinaufführte, zögerte sie einen Moment und blickte auf das prächtige Gebäude. Vor Aufregung war ihr ganz flau zumute. Bald würde sie dem Mann begegnen, den sie seit zehn Jahren zutiefst hasste. All ihre Trauer hatte sich längst in Wut gewandelt, und die Tatsache, dass der Schurke straflos davongekommen war, hatte ihren Zorn nur noch vermehrt. Megan wusste kaum, wie sie Moreland gegenübertreten sollte, ohne sich anmerken zu lassen, wie sehr sie ihn verabscheute. Das würde ihr recht viel schauspielerisches Talent abverlangen.
Sie zupfte nervös ihre Handschuhe zurecht. Niemals würde sie es jemandem eingestanden haben - und ganz gewiss nicht ihrem Vater aber die vor ihr liegende Aufgabe ließ ihr doch ein wenig bange werden. Um an eine Geschichte zu gelangen, hatte sie sich schon allerlei Täuschungsmanöver bedient, nie zuvor aber war ihr eine Geschichte so wichtig gewesen wie ihr jetziges Vorhaben, und noch nie hatte sie so große Angst gehabt zu scheitern. Sicher musste die Duchess nur einen einzigen Blick auf sie werfen, um sie zu durchschauen und gleich wieder fortzuschicken!
Megan strich ihre dunkelblaue Jacke glatt, die - von den ziemlich großen silbernen Knöpfen abgesehen - recht schlicht war. Sie hoffte, darin nüchtern genug zu wirken, um von dem kleinen Strohhütchen abzulenken, welches schräg auf ihrem Kopf thronte und mit seiner keck gewölbten Krempe und dem Büschel Kirschen an der Seite an sich viel zu schick war für eine Hauslehrerin. Megan hatte eine Schwäche für Hüte, und um ganz ehrlich zu sein - sie besaß keinen, der gediegen genug war, um zur Garderobe einer Gouvernante zu passen. Doch nun, wie sie hier so stand, wünschte sie sich, heute Morgen noch rasch den schlichtesten und tristesten Hut gekauft zu haben, der sich in London finden ließe.
Nun ist es allerdings zu spät, daran etwas zu ändern, sagte sie sich, und während sie noch versuchte, ihre plötzlich wieder wild aufflatternden Nerven zu beruhigen, griff sie auch schon nach dem schweren Messingklopfer und ließ ihn gegen die Tür fallen.
Kurz darauf öffnete ein Hausdiener.
„Sie wünschen?“
„Ich bin gekommen, um die Duchess of Broughton zu sprechen“, erwiderte Megan ruhig und blickte dem Diener fest in die Augen.
Hatte sie eine Sache erst einmal begonnen, verflüchtigte sich ihre Aufregung stets und war dann bloß wie eine leichte Anspannung im Hintergrund wahrzunehmen, die sie wachsam und zu allem bereit machte.
Sie merkte, wie der Lakai sie mit einem geübten Blick maß, wobei ihm kein Detail entging, und sie wohl sogleich nach gesellschaftlichem Rang, Kleidung und Herkunft klassifiziert wurde.
„Dürfte ich fragen, ob Sie einen Termin haben?“
„Ja“, log Megan, denn sie hatte es schon immer am besten gefunden, gleich zum Angriff überzugehen. Dreistigkeit brachte einen meist sehr weit. „Ich komme wegen der Stelle als Hauslehrerin.“
Die überhebliche und fast schon abweisende Miene des Dieners wich einem sehr beflissenen, beinah eifrigen Ausdruck. „Ja, selbstverständlich. Ich will gleich nachsehen, ob Euer Gnaden bereit ist, Sie zu empfangen.
Er wich einen Schritt zurück, und Megan betrat das Haus. Sie fand sich in einer weitläufigen, prächtigen
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