Schatten ueber Broughton House
Objekt ihrer Nachforschungen kreisen lassen konnte.
Doch die Duchess war in Gedanken schon anderswo und meinte: „Ich kann mich allerdings nicht erinnern, einen Termin mit Ihnen vereinbart zu haben. Hat die Agentur Sie geschickt?“
Megan fiel es schwer, den freundlichen Blick der Duchess zu erwidern und dabei zu lügen. Und so hoffte sie, dass es stimmte, was ihr Vater ihr über die Ansichten der Dame erzählt hatte, als sie freimütig eingestand: „Nein, Madam, ich war leider nicht ganz ehrlich zu Ihrem Diener. Die Agentur hat mich nicht geschickt.“ Sie zögerte und fuhr an den äußersten Grenzen der Wahrheit fort: „Sie fanden eine weibliche Bewerberin nicht angemessen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass eine Frau Kinder ebenso gut unterrichten kann wie ein Mann, ganz gleich, ob diese Kinder nun Jungen oder Mädchen sind. Und so habe ich beschlossen, mich direkt bei Ihnen vorzustellen, denn mir wurde gesagt, Sie seien eine fortschrittlich denkende Frau und eine Verfechterin der Gleichberechtigung. “
„Bravo, Miss Henderson“, meinte die Duchess. „Ich stimme Ihnen völlig zu. Es war ganz richtig von Ihnen, sich gleich an mich zu wenden. Heute Nachmittag konnte ich mich ja bereits davon überzeugen, dass Sie besser mit den Jungen umzugehen wissen als die meisten der männlichen Lehrer, die wir bislang hatten.“
In diesem Moment brachte ihnen ein ernst dreinschauender Diener den Tee, und sie schwiegen, während die Duchess ihnen beiden einschenkte.
Nachdem die Duchess an ihrer Tasse genippt hatte, fuhr sie fort: „Ich nehme an, dass Sie Referenzen haben, Miss Henderson.“
„Oh ja.“ Megan reichte ihr die Liste, die ihr einige Mühe bereitet hatte.
Das Ergebnis war eine recht kunstfertige Täuschung, wie Megan fand. Sie hatte ihre Schulzeit in der Klosterschule St. Agnes angeführt, zwei Jahre an einem kleinen, fortschrittlichen Frauencollege hinzugefügt - von dem sie wusste, dass es seit einiger Zeit schon nicht mehr existierte - und dem noch einige Jahre folgen lassen, in denen sie die Kinder von Mr. und Mrs. James Allenham unterrichtet hatte, deren Anschrift rein zufällig mit jener ihrer Schwester Mary Margaret übereinstimmte.
Nach reiflicher Überlegung war sie zu dem Schluss gekommen, dass es besser wäre, einen einfachen Lebenslauf anzuge-ben, der einer möglichen Überprüfung seitens der Duchess standhielte, statt ein beeindruckendes Lügengewebe zu spinnen. Megan wusste recht viel über das College in New England, da sie einen Artikel geschrieben hatte über jene Männer und Frauen, die sich einst voller Hoffnung und Idealen zusammengetan hatten, um jungen Frauen eine bessere Ausbildung zu ermöglichen. Sie setzte darauf, dass die intellektuellen Neigungen der Duchess und der Umstand, dass die Familie händeringend einen neuen Lehrer suchte, sich zu ihren Gunsten auswirkten.
„Leider sind all meine Referenzen aus den Vereinigten Staaten“, fügte sie dennoch bedauernd hinzu.
„Ja, mir ist aufgefallen, dass Sie Amerikanerin sind. Aber ich glaube, dass es eine gute Erfahrung für die Zwillinge sein wird, eine Lehrerin aus einem anderen Land zu haben. Dürfte ich Sie fragen, warum Sie eine Anstellung in England suchen?“
Megan begann nun, eine Geschichte davon zu erzählen, wie es schon immer ihr Wunsch gewesen sei, jenes Land kennenzulernen, über das sie so viel gelesen hatte. Da sie sich eine Reise durch England jedoch nicht leisten konnte, hatte sie gespart, um wenigstens die Überfahrt zahlen zu können, und war mit der Hoffnung gekommen, ihren Aufenthalt durch Arbeit zu finanzieren. Glücklicherweise war Megan tatsächlich eine eifrige Leserin, sodass sie mühelos ihre Verehrung für Dichter wie Chaucer und Shakespeare, Byron und Shelley mit Zitaten unterlegen konnte.
Als sie schließlich mit ihrem Lobgesang geendet hatte, machte sie sich darauf gefasst, dass nun ihr Wissen auf anderen Gebieten als der Literatur geprüft werde. Doch zu Megans Überraschung merkte die Duchess nur an, dass der Duke großen Wert auf eine gute Kenntnis der klassischen Sprachen lege, und kam dann auf ein Thema zu sprechen, das ihr offensichtlich mehr am Herzen lag - die Arbeiterfrage in den Vereinigten Staaten.
Da sie in einigen Artikeln die Machenschaften korrupter Vermieter enthüllt und über Fabrikbesitzer berichtet hatte, die berüchtigt dafür waren, ihre Arbeiter schlecht zu behandeln, konnte Megan recht ausführlich auf die Fragen der Duchess eingehen, und bald schon waren sie in eine
Weitere Kostenlose Bücher