Schatten ueber Broughton House
gesprochen hatten. Die meisten waren jedoch beleidigt, wurden sie auf diesen Umstand hingewiesen. Sie vermutete auch, dass Mr. Barchesters Geschichte ein wenig anders geklungen hätte, wäre Deirdre nicht bei ihnen gewesen - der gute Mann war von ihrer Schwester ganz offensichtlich hingerissen. Natürlich konnte Megan nicht wissen, was er ihnen dann genau erzählt hätte, sicher waren die Unterschiede nur gering. Aber meist sprachen Männer in Gegenwart einer Frau, die sie bewunderten, nie die ganze Wahrheit. Und deshalb nahm Megan sich vor, den Besuch bei Mr. Coffey so zu arrangieren, dass ihr Vater und ihre Schwester nicht dabei sein würden.
Sie blieben noch ein wenig und plauderten mit Mr. Barchester. Er bot ihnen Tee an und erkundigte sich nach ihrer Reise über den Atlantik, ihrer Unterkunft in London und bot ihnen alle erdenkliche Hilfe an. Er schien ein recht netter Mann zu sein, wenngleich etwas langweilig, wie Megan fand. Ihre Schwester schien das jedoch nicht so zu empfinden, denn sie lächelte oft und flirtete gar ein wenig mit ihm.
Bald begann Megan ungeduldig zu werden. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause, um die Möglichkeiten zu besprechen, die jener „Schatz“ aufwarf, den Mr. Barchester erwähnt hatte. Sie warf ihrem Vater einen verstohlenen Blick zu und bemerkte, dass es ihm genauso erging Und kaum hatten sie sich von Mr. Barchester verabschiedet und waren ein paar Schritte die Straße hinuntergegangen, platzte Frank auch schon heraus: „Wusste ich es doch! Habe ich euch das nicht gleich gesagt ? Dieser englische Bastard hat Dennis diesen Anhänger gestohlen. Ich könnte wetten, dass es das ist, was Dennis zurückhaben möchte.“
„Das wissen wir nicht mit Sicherheit, Dad“, gab Megan zu bedenken.
„Aber das ist doch glasklar!“, erwiderte er aufgebracht.
„Nachdem Dennis tot war, trug dieser betitelte Schurke auf einmal dieses Ding um den Hals und hat ein großes Geheimnis darum gemacht. Woher sollte er es denn sonst haben? Und warum sollte er es sonst verstecken?“
„Das stimmt allerdings“, meinte Megan. „Dennoch wissen wir nicht, ob Moreland es sich von Dennis genommen und ihn gar deswegen umgebracht hat. Wir wissen ja nicht einmal was ,es‘ ist!“
„Ein Anhänger“, schlug Deirdre vor. „Das hat Mr. Barchester doch gesagt.“
„Ja, aber was für einer? Ein Edelstein oder ein goldenes Medaillon? Trug er es an einer Kette oder an einer einfachen Schnur? Vielleicht hatte Moreland auch einen kleinen Beutel umhängen, in dem er etwas verwahrte. Barchesters Beschreibung war recht unbestimmt.“
„Genau“, pflichtete Frank ihr bei, „es muss gar keine Halskette gewesen sein. Mag sein, dass es irgendein kleiner Gegenstand war, den er zur Sicherheit immer bei sich trug.“
„Ohne Zweifel bedeutete es ihm sehr viel“, ergänzte Megan und erinnerte sich an die Worte, mit denen Deirdre den Verlust ihres Bruders beschrieben hatte.
„Und zweifellos wollte Moreland nicht, dass jemand davon erfuhr.“
„Nun, das schränkt zumindest meine Suche etwas ein“, stellte Megan fest. „Ich weiß jetzt, dass ich nach einem kleinen Gegenstand Ausschau halten muss, wahrscheinlich irgendeiner Halskette.“
Sie begann jene Erregung zu verspüren, die sie immer dann erfasste, wenn sie einer Geschichte auf der Spur war. All die Zweifel, die sie zunächst geplagt hatten - die Zuneigung, die sie für die Duchess und die Zwillinge empfand, das seltsame Gefühl, das sie überkommen hatte, sobald sie Theo Moreland das erste Mal gesehen hatte - all das war nun verschwunden. Solche Kleinigkeiten waren nicht mehr von Bedeutung.
Morgen wollte sie anfangen, dem Mörder ihres Bruders auf die Schliche zu kommen.
5. KAPITEL
Am nächsten Morgen erschien Megan bei ihrer neuen Arbeit mit dem festen Entschluss, den Mörder ihres Bruders zur Rechenschaft zu ziehen und sich nicht durch anderweitige Gefühle davon abbringen zu lassen.
Barchesters Geschichte hatte ihre eigenen Erinnerungen an Dennis wieder lebendig werden lassen, und der erlittene Verlust schmerzte wie damals. Sie konnte sich gut vorstellen, wie die Legenden vom verlorenen Schatz der Inka Dennis’ Fantasie beflügelt hatten, und sah ihn vor sich, mit seinem Lächeln und den voller Erwartung leuchtenden Augen, die den ihren so ähnlich waren. Die Kultur der Inka hatte ihn schon immer interessiert -sie erinnerte sich noch daran, wie er ihr entsetzt von der blutigen Landnahme und den Plünderungen durch die Spanier
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