Schatten ueber Broughton House
Bediensteten nicht den Arm, und sie erboten sich auch nicht, ihnen das Haus zu zeigen - ganz gewiss nicht, wenn die Haushälterin das sehr wohl übernehmen konnte.
Megan glaubte nicht, dass sie unbescheiden war in der Annahme, dass Moreland Interesse an ihr zeigte. Bloß weshalb? Abermals verspürte sie jene atemlose Angst, dass er ihr irgendwie auf die Schliche gekommen sei und nur auf eine Gelegenheit wartete, sie zu entlarven.
Sie hielt sich an, nicht albern zu sein. Ein Gentleman, der mit einer Bediensteten kokettierte, tat dies gewöhnlich nur aus einem Grund. Megan war es durchaus gewohnt, mit Männern zu flirten - oder auch ungehörige Avancen gemacht zu bekommen. Sie wusste, dass die schlichte Bluse und der dunkle Rock keineswegs ihre wohlgeformte Figur verbergen konnten und dass ihr Gesicht, wenngleich nicht klassisch schön, so doch lebhaft und ansprechend war. Und scheinbar weckte eine Frau, die sich allein hinaus in die Welt wagte, stets die niedersten Instinkte der Männer.
Aller Wahrscheinlichkeit nach suchte Theo Moreland allein aus diesem Grund ihre Nähe. Sicher gehörte er zu jener Sorte Männer, die ihre Machtstellung nutzten, um sich begehrlich den Frauen aufzudrängen, die das Pech hatten, für ihn zu arbeiten. Megan schien es zwar über die Maßen dreist, dass er es praktisch unter den Augen seiner Mutter tat, doch warum, so fragte sie sich und rümpfte im Geiste die Nase, sollte von dem Mörder ihres Bruders Anstand und Zurückhaltung zu erwarten sein?
Er würde sich noch wundem, dachte sie selbstgewiss, wenn er erst einmal feststellte, dass sie keine jener hilflosen Frauen war, die er ungestraft verführen - oder gar nötigen! - konnte. Megan Mulcahey konnte sehr wohl auf sich allein aufpassen.
Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und bemerkte zufrieden, dass nicht das leiseste Zittern ihre Aufregung verriet. Als er sie den Gang hinunter und die große Haupttreppe hinaufgeleitete - die viel breiter war als die Dienstbotentreppe, die sie vorhin mit Mrs. Brannigan benutzt hatte -, gewann sie abermals einen Eindruck davon, wie weitläufig Broughton House mit all seinen Gängen und Türen war. Es bis in den letzten Winkel zu durchsuchen, war schier unmöglich. Selbst dass sie nun ungefähr wusste, wonach sie suchen musste, machte es nicht einfacher - ein Schmuckanhänger war ein recht kleiner Gegenstand für so ein großes Haus.
„Ich verstehe jetzt, warum Sie meinten, Sie wollten mich nicht allein gehen lassen“, sagte sie leichthin. „Sicher kann man sich hier leicht verlaufen. “
„Dann sollten Sie erst einmal Broughton Park sehen“, erwiderte Theo trocken. „Ein richtiger Kaninchenbau.“
„Broughton Park?“
„Unser Landsitz“, erläuterte er. „Die meiste Zeit des Jahres halten meine Eltern sich dort auf. Nach London kommen sie nur während der Saison - wenngleich ich nicht einmal weiß, weshalb, da beide kein großes Vergnügen daran haben.“
Du lieber Himmel, dachte Megan und tat innerlich einen Stoßseufzer, es gab noch ein weiteres Haus, in welchem der besagte Gegenstand versteckt sein konnte! Würde sie den Anschein einer Lehrerin wohl lange genug wahren können, um überall zu suchen?
Als sie sich dem Schulzimmer näherten, vernahm Megan Gelächter - nicht das kindliche Lachen der Zwillinge, sondern eine tiefe Männerstimme und den helleren Klang einer Frau. Erstaunt hob Theo die Brauen und beschleunigte seine Schritte.
„Reed! “, rief er, als er den Schulraum betrat. „Dachte ich mir doch, dass ich dich gehört hätte. Und Anna! Was für eine schöne Überraschung. Wann seid ihr angekommen?“
„Heute Morgen.“ Der Mann, der mit lang von sich gestreckten Beinen an einem der Pulte saß, erhob sich nun mit natürlicher Grazie und kam auf sie zu, um Theo herzlich die Hand zu schütteln. „Ich habe Anna eine Saison versprochen.“
Er bedachte die gut gekleidete und attraktive Frau, die zwischen Con und Alex Platz genommen hatte, mit einem liebevollen Blick. Auch sie stand auf und kam zu Megan und Theo herüber, wobei sie Letzteren ein wenig schüchtern anlächelte.
„Hallo, Theo.“
„Hallo, Anna.“ Theo nahm ihre Hand und küsste Anna leicht auf die Wange. „Du siehst blendend aus. Kaum zu glauben, dass ihr eine Kutschfahrt hinter euch habt.“
Anna lachte leise. „Stimmt, wir sind seit fünf Uhr auf den Beinen.“
Sie wandte sich Megan zu und ließ ihre großen grauen Augen einen Moment auf ihr ruhen. „Hallo“, sagte sie und reichte ihr die
Weitere Kostenlose Bücher