Schatten ueber Broughton House
jeder ihn für verrückt erklärt hätte. Natürlich, so musste Theo sich eingestehen, könne sie dennoch Lehrerin sein - aber je mehr Ungereimtheiten sich anhäuften, desto weniger war er geneigt, der Geschichte zu glauben, die Miss Henderson ihnen aufgetischt hatte. Und dass Anna auch noch eine Vorahnung dahingehend hatte, dass von Megan eine Gefahr ausgehe, bestärkte ihn nur noch in seinen Zweifeln.
Gestern Nacht, als er sie im Studierzimmer seines Vaters dabei ertappt hatte, wie sie einen Schlüssel in ihrer Rocktasche verschwinden ließ, sah er sich in all seinen Vermutungen bestätigt. Allerdings war ihm bislang kein einziger vernünftiger Grund eingefallen, warum die neue Hauslehrerin der Zwillinge sich in das Sammelkabinett schleichen wollte.
„Theo!“ Alex’ fröhliche Stimme riss Theo aus seinen Gedanken.
„Hallo Jungs“, begrüßte er die beiden, als sie schnaufend bei ihm ankamen.
„Hallo“, erwiderte Con. „Was machst du denn hier?“
„Auf euch warten, um mit euch zu reden.“
„Warum?“ Con ließ sich neben der Bank ins Gras fallen.
„Kommst du mit zu Thisbe?“, wollte Alex wissen und setzte sich neben Theo auf die Bank, denn er war etwas manierlicher als sein Zwillingsbruder.
„Nein. Eigentlich wollte ich nur ... nun ja, ich wollte wissen, wie ihr euch mit eurer neuen Lehrerin versteht.“
Die vergnügten Gesichter der Zwillinge verrieten ihm, wie sehr sie Miss Henderson mochten.
„Sie ist erste Klasse“, meinte Alex denn auch, und Con nickte zustimmend.
„Magst du sie nicht?“, fuhr Alex fort. „Warum willst du wissen, wie wir sie finden?“
„Doch, ich mag sie“, erwiderte Theo ehrlich. „Aber ich wüsste gerne ... wie sie als Lehrerin ist.
„Besser als alle, die wir vorher gehabt haben“, ließ Con ihn wissen.
„Oh ja. Sie lässt uns auch von Thisbe unterrichten.“
„Und sie gibt uns Zeit, um draußen zu spielen. Sie sagt, dabei würden wir überschüssige Energie abbauen und könnten danach wieder besser lernen.
„Ah ja. Nun, ich sehe schon, weshalb ihr sie so sehr mögt. Aber ich wüsste gern, ob . .. “ Er überlegte, wie er seine Frage formulieren sollte, ohne dass die Zwillinge argwöhnisch wurden oder ihre Lehrerin trotzig verteidigten.
„Ob sie eine richtige Lehrerin ist?“, schlug Alex vor.
Theo kam sich ziemlich dumm vor. Er hätte sich gleich denken können, dass die Zwillinge ebenso bald darauf kämen wie er. „Ja, genau das wollte ich wissen. Offensichtlich habt ihr euch das auch schon gefragt.“
„Sie ist viel zu hübsch“, befand Con und sprach damit Theos Gedanken aus.
„Und viel zu nett“, fügte Alex seufzend hinzu.
„Warum sollte jemand wie sie Lehrerin sein wollen?“, fuhr Con fort und runzelte verwundert die Stirn.
„Euch ist sicher noch mehr aufgefallen“, drängte Theo weiter.
„Nun ja, sie ist ziemlich praktisch. Keiner unserer Lehrer hat uns bislang erklärt, was das Gelernte mit dem Leben zu tun hat.“
„Sie findet Plinius den Älteren langweilig“, verriet Alex.
Theo verkniff sich ein Schmunzeln. „Dann ist sie zumindest ehrlich.“
„Und sie kann kein Griechisch“, stellte Con fest.
Alex nickte. „Sie verbessert uns nie, wenn wir ein falsches Wort sagen, und unsere Aufgaben korrigiert sie auch nicht.“
„Was ist mit Latein?“, wollte Theo wissen.
„Das kann sie besser“, erwiderte Con.
„In Literatur, Rechtschreibung und Grammatik ist sie gut“, wandte Alex ein.
„In Geschichte auch. Da weiß sie sogar mehr als wir.“ Con sah Theo besorgt an. „Du wirst es Mutter aber nicht sagen, oder?“
„In Mathe kommen wir ganz gut allein zurecht“, versicherte ihm Alex. „Und Thisbe unterrichtet uns in Naturkunde besser als jeder Hauslehrer, den wir jemals hatten.“
„Wer braucht schon Latein und Griechisch?“, sinnierte Con. „Papa findet es zwar wichtig ... aber wir werden es doch sicher nie sprechen, oder? Auf jeden Fall können wir uns das auch selbst beibringen. Miss Henderson ist nämlich gar nicht verbiestert und lässt uns immer noch zusätzlich Zeit für unsere Lieblingsfächer.“
„Alles lässt sie uns aber nicht durchgehen“, sagte Alex rasch. „Wir mögen sie nicht nur deshalb, weil sie uns machen lässt, was wir wollen. Und eigentlich lernen wir dabei sogar viel mehr
als sonst, nicht wahr?“ Er schaute seinen Zwillingsbruder an, als erwartete er Zustimmung.
Con nickte eifrig. „Stimmt. Wirklich, Theo, man denkt viel besser, nachdem man draußen gespielt hat, und
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