Schatten ueber Broughton House
mir gefällt auch, dass wir uns unseren Stundenplan selbst zusammenstellen können.“
„Sag Mutter bitte nicht, dass sie Miss Henderson entlassen soll“, bat Alex.
„Das werde ich nicht“, beschwichtigte Theo seine kleinen Brüder. „Zumindest noch nicht. Wahrscheinlich sollte ich, aber ich mag sie auch.“
„Danke!“ Con sprang auf und grinste.
„Du bist der Beste“, fügte Alex hinzu.
„Ich frage mich nur, warum sie sich als Lehrerin ausgibt“, beharrte Theo.
Alex nickte. „Das ist wirklich seltsam. Ich denke mal, sie hat einfach kein Geld. Es ist ja immer noch besser, eine Lehrerin zu sein als ein Dienstmädchen, oder?“ Seine Miene ließ jedoch durchblicken, dass er da so seine Zweifel hatte.
„Ist euch sonst noch etwas aufgefallen? Abgesehen davon, dass sie in vielen Fächern nichts weiß. Hat sie sich seltsam verhalten? Euch Fragen gestellt, die Lehrer normalerweise nicht stellen?“
Die Zwillinge runzelten nachdenklich die Stirn. Schließlich meinte Con: „Ich weiß nicht... eigentlich nicht. Aber sie nimmt Schulbücher mit auf ihr Zimmer - wahrscheinlich bereitet sie sich damit auf die nächsten Stunden vor, damit sie weiter ist als wir.“
„Sie füttert unsere Tiere. Und sie hat sogar die Boa angefasst!“, berichtete Alex mit einer gewissen Ehrfurcht.
„Ich glaube, dass Henderson nicht ihr richtiger Name ist“, sagte Con leise.
„Wie bitte?“ Theo horchte auf.
„Das hast du mir noch nie gesagt! “, hielt Alex seinem Bruder vor.
„Ich bin mir auch nicht sicher. Con schien seine Worte schon zu bereuen. „Vielleicht hat es gar nichts zu bedeuten, aber einmal habe ich ihr Taschentuch gesehen, und es hatte ein Monogramm — der große Buchstabe war ein M und die kleinen ein M und ein C. Ein H war da nicht.“ Er sah Theo flehentlich an.
„Aber dafür gibt es sicher eine ganz einfache Erklärung, nicht wahr?“
„Hmm“, brummelte Theo. Gewiss gab es dafür gute Gründe - nur wollten ihm keine einfallen.
„Sie ist nicht böse“, sagte Alex voller Überzeugung, als er Theos Miene sah. „Da bin ich mir ganz sicher.“
„Nein, bestimmt nicht“, pflichtete Con ihm bei.
Seltsamerweise war Theo derselben Ansicht wie die Jungen. Trotz aller gegenteiligen Anzeichen fiel es ihm schwer zu glauben, dass Miss Henderson - oder wer immer sie auch sein mochte - sie alle in böser Absicht täuschte.
Er nickte. „Macht euch keine Sorgen. Ich werde nichts sagen, bevor ich nicht mehr über Miss Henderson weiß.“ Warnend fügte er hinzu: „Ihr dürft ihr aber auch nichts von unserem Gespräch verraten.“
Die Jungen versprachen es feierlich und rannten davon zu Thisbes Labor. Theo lehnte sich zurück und dachte nach.
Wahrscheinlich ließ er sich zum Narren halten ... ließ sich von einem hübschen Gesicht glauben machen, dass die betreffende Person innerlich ebenso einnehmend sein müsse wie in ihrer äußeren Erscheinung. All ihr Tun deutete jedoch darauf hin, dass sie ein falsches Spiel spielte.
Aber welchen Zweck mochte sie damit verfolgen?
Das Wahrscheinlichste war doch, dachte er, dass sie etwas aus dem Kabinett stehlen wollte. Sein Vater besaß eine der größten und wertvollsten Sammlungen antiker griechischer und römischer Kunst in ganz England. Unter all den Tonscherben und lavaverkrusteten Überbleibseln einer längst vergangenen Zeit fanden sich einige seltene Objekte von solcher Schönheit, dass manche Sammler dafür eine stattliche Summe zahlen würden.
Dennoch waren dies keineswegs Gegenstände, fand Theo, auf die ein gewöhnlicher Dieb sein Augenmerk richten würde. Die Statuen und Vasen waren schwer zu transportieren, zudem bedürfte es der genauen Kenntnis griechischer und römischer Kunst, um zu wissen, welche Dinge am wertvollsten waren. In Broughton House gab es Wertsachen - Juwelen, Silber und Münzen -, die einträglicher und leichter zu entwenden waren als Papas antike Vasen und Marmorstatuen.
War Miss Henderson womöglich selbst eine Kennerin antiker Kunst? Doch warum gab sie sich als Lehrerin aus, nur um heimlich im Haus herumschleichen zu können? Vielleicht arbeitete sie ja im Auftrag eines anderen Sammlers, der eines oder mehrere der im Besitz des Dukes befindlichen Stücke haben wollte! Oder für einen Händler, der aus der Sammlung des Duke of Broughton Kapital schlagen wollte.
Bloß weshalb hätte ein solcher Auftraggeber eine Frau schicken sollen, um sich als Lehrerin der Zwillinge zu bewerben? Ein Mann wäre naheliegender gewesen. Zwar
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