Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
verschlangen. »Ich liebe dich.«
Ihr Herz schlug schneller. »Wie kann ich da widersprechen?«
21
Moses sah zu, wie die Stuten im sanften Morgenlicht ihre Fohlen zum Wasser führten. Er kannte die Rangordnung so gut wie die Tiere. Zuerst kam wie immer die hochmütig mit dem Schweif schlagende Big Bess, dann Carmen, die eigenwillige Fuchsstute, gefolgt von Trueheart, bis hin zu der scheuen, zurückhaltenden Sunny, die das Schlußlicht bildete.
Die Fohlen tollten sorglos und ausgelassen um ihre Mütter. Sie konnten nicht ahnen, dachte Moses wehmütig, daß sie in einigen Wochen entwöhnt und von der Mutterstute getrennt würden.
Einige würden zu Galoppern ausgebildet, andere auf Jährlingsauktionen versteigert werden. Vielleicht zeigte auch eines der Fohlen ganz andere Anlagen und konnte zum Springreiten oder zur Dressur verwendet werden. Von Dressur hielt Moses wenig, es erschien ihm so oberflächlich wie Schönheitswettbewerbe. Einige der Hengstfohlen würden kastriert werden, andere durften ihre Anlagen weitergeben.
Und vielleicht hatte eines der Fohlen das Zeug zu einem echten Champion. Es gab immer ein nächstes Derby, tröstete er sich, immer eine nächste Chance.
Eventuell der dort, der kleine Kastanienbraune mit der Blesse, der immer fast hochmütig den Kopf zurückwarf, weswegen Naomi ihn Tomorrow’s Arrogance genannt hatte. Was Körperbau und Erbanlagen betraf, hielt Moses ihn für geeignet, ob er auch noch das Herz eines Champions hatte, würde sich im Laufe der Zeit zeigen.
Moses war schwer ums Herz. Er hatte beim Derby zu viel aufs Spiel gesetzt, obwohl er es eigentlich besser wissen mußte. Seine Vorfahren hätten ihn davor gewarnt, die Götter zu versuchen. Trotzdem hatte er all seine Wünsche und Hoffnungen in ein Zwei-Minuten-Rennen gelegt.
Und dafür einen viel zu hohen Preis bezahlt.
»Sind sie nicht wunderschön?« hörte er Kelseys Stimme hinter sich. »Kaum zu glauben, daß sie in einem Jahr schon einen Sattel tragen.«
Moses schob die Hände in die Hosentaschen und behielt die Fohlen im Auge. »Also hast du dich entschlossen, dich doch noch hier sehen zu lassen?«
»Tut mir leid. Ich bin ein bißchen zu spät dran.«
»Ein bißchen zu spät – heute. Gestern warst du einen halben Tag weg. Und vorgestern auch.«
»Ich hatte einige Dinge zu erledigen.«
»Dinge.« Er drehte sich zu ihr um, wohl wissend, daß er Kelsey als Blitzableiter für seine schlechte Laune benutzte. Verdient hatte sie es. »Für jeden, der hier arbeitet, steht nur eins an erster Stelle, und das sind die Pferde.«
Gereizt marschierte er auf die Ställe zu. Kelsey trottete schuldbewußt hinterdrein. »Entschuldige, Moses, aber es ließ sich wirklich nicht vermeiden.«
Ihre Absätze gruben sich in den Boden, als er unverhofft stehenblieb und sie anschnauzte: »Hör zu, Kleine, das hier ist kein Spielplatz. Du mußt deine ganze Kraft einsetzen, den ganzen Tag lang, jeden Tag. Denn wenn du’s nicht tust, muß es ein anderer ausbaden. Eine derartig lasche Arbeitseinstellung dulde ich hier nicht. Wo warst du zum Beispiel gestern, als du dich eigentlich um dein Pferd kümmern und deine täglichen Anweisungen vom Jährlingsbetreuer entgegennehmen solltest?«
»Ich war . . .« Kelseys Zunge schien wie gelähmt. »Eine Privatangelegenheit.«
»Von jetzt ab erledigst du private Dinge in deiner Freizeit. Ich verschwende doch nicht meine Zeit mit dir! Du kannst jetzt mit dem Ausmisten der Ställe anfangen.«
»Aber ich – ich muß doch mit Honor arbeiten!«
»Sie ist schon an der Longe. Wenn sie fertig ist, kannst du sie abkühlen. Hoffentlich hast du bald eine Mistgabel in der Hand!«
Er drehte sich auf dem Absatz um und verschwand in seinem Büro. Die Pfleger und Stallburschen, die gespannt
zugehört hatten, wandten sich sofort wieder ihrer Arbeit zu. Alle genossen einen öffentlich ausgetragenen Streit, aber niemand ließ sich gern beim Lauschen ertappen.
»So, damit bist du ins Team aufgenommen.« Naomi ging zu ihrer Tochter und strich ihr beschwichtigend über den Rücken. »Wenn er dich nicht akzeptieren würde, hätte er nie so mit dir gesprochen.«
»Er hätte mich ja auch unter vier Augen zurechtweisen können«, knurrte Kelsey. »Was zum Teufel denkt er sich eigentlich? Nur weil ich ein paar Stunden brauchte . . .« Fluchend brach sie ab. »Es war wichtig für mich.«
»Manchmal vergessen wir alle, daß dieses Gestüt nicht der Mittelpunkt der Welt ist. Aber du bist schließlich nicht
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