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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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So weit ist mir die Sache klar. Mich interessiert der mögliche Kontext. Mir ist nämlich aufgefallen, dass dir beim Bücherschreiben die Recherche immer den meisten Spaß macht«, unterbrach Roz hastig, ehe Kate in die nächste Spirale von Selbstmitleid und Depression abdriften konnte. »Bestimmt könntest du dich auf eine nette’ Recherchelektüre konzentrieren, auch wenn dir die leere Seite, auf der oben ›Erstes Kapitel‹ steht, jetzt noch zu bedrohlich erscheint.«
    »Meinst du?« Kate konnte ein gewisses Interesse nicht von der Hand weisen.
    »Warum siedelst du deine Geschichte nicht in der jüngeren Vergangenheit an? Sagen wir mal innerhalb der letzten fünfzig Jahre. Hat irgendwer schon einmal einen Roman über den Ersten Weltkrieg geschrieben? Sicher würde es Estelle gefallen, wenn du es tätest.« Mit Daten hatte Roz schon immer Probleme gehabt.
    »Sie würde mir vermutlich mitteilen, dass es dafür keinen Markt gibt«, erwiderte Kate.
    »Du bist schon wieder negativ. Na gut, wenn du keine Lust hast, über Schützengräben zu schreiben, versuch es mit den dreißiger Jahren. Oder mit den Fünfzigern.« Immer noch gab Kate keine Antwort. »Wie wäre es mit den Sechzigern?« Roz’ Stimme klang leicht verzweifelt.
    »Ich denke darüber nach«, sagte Kate, um ihre Mutter zu erlösen, ehe ihr die Jahrzehnte ausgingen. »Vielleicht ist da ja was dran«, fügte sie grollend hinzu. »Ich habe mir eine Stunde Bedenkzeit ausgebeten, ehe ich Estelle zurückrufe. Dein Vorschlag ist nicht übel. Gott allein weiß, wie nötig ich eine zündende Idee brauche.«
    Wider Erwarten bemerkte Kate, wie ihre Lebensgeister zaghaft erwachten. »Mach’s gut, Roz.«
    Sie schob ihren Roman beiseite. Irgendwie hatte sie es nicht geschafft, einen Einstieg in die Lektüre zu finden; in letzter Zeit konnte sie sich schlecht konzentrieren. Den kalten Kaffee brachte sie in die Küche zurück. Als sie zu George in die Cavendish Road gezogen war, empfand sie vor allem die Küche als gewöhnungsbedürftig. In der Küche anderer Leute befanden sich die Dinge nie dort, wo man sie eigentlich erwartete. Nie fand man auf Anhieb den richtigen Topf. Aber so war es nun einmal, wenn man mit jemandem zusammenzog, sagte sie sich. Man musste sich anpassen und sich in das Leben des anderen eingliedern.
    Sie schüttete ihren Kaffee in den Ausguss und spülte den Becher unter fließendem Wasser aus. Dabei benutzte sie die blaue Spülbürste, die sie in der vergangenen Woche gekauft hatte. Allmählich begann die Küche sich so anzufühlen, als wäre es auch ihre. Jetzt wäre ihr vermutlich die Küche in der Agatha Street fremd vorgekommen. Zweifellos hatte Roz inzwischen ihr eigenes Lieblingsspülmittel und ihre eigene Lieblingsseife angeschafft. Nicht, dass Kate etwa mit dem Gedanken spielte, in die Agatha Street zurückzukehren. Das Arrangement mit George war auf Dauer gedacht, und sie war sicher, dass auch er es so empfand. Seit zwei Monaten lief wirklich alles gut zwischen ihnen – immerhin sechs Wochen länger, als sie es bisher mit einem Mann unter einem Dach ausgehalten hatte.
    Sie hatte Roz und Estelle versprochen, über ihren nächsten Roman nachzudenken, und das würde sie auch tun. Doch gleichzeitig konnte man durchaus etwas anderes erledigen, vorzugsweise etwas Praktisches. Doch wenn Kate ganz ehrlich war, dachte sie nie besonders intensiv über ihre Bücher nach, erst recht nicht im Anschluss an die Hintergrundrecherchen. Sie ließ die Geschichten einfach aus ihrem Unterbewusstsein aufsteigen und folgte ihnen, wo immer sie hinführen mochten. Doch das würde sie weder Estelle noch Roz je verraten. Es würde sich mit ihrem Bild als wohl organisierte Autorin nie und nimmer decken.
    Kate stellte den Becher an seinen Platz in den Schrank. Nachdem sie nun schon einmal aufgestanden war und herumlief, konnte sie ebenso gut weitermachen. Wenn sie sich nämlich jetzt wieder in ihren Lieblingssessel setzte, wäre es gut möglich, dass sie für den Rest des Tages nicht mehr aufstand.
    Sie machte sich auf die Suche nach George.
    Der reizende George, wie Roz ihn bezeichnet hatte, war Lektor für Geographie in Brookes, der anderen Universität von Oxford. Sie hatten sich im vergangenen November zum ersten Mal getroffen und gerade angefangen, einander besser kennen zu lernen, als Kate angegriffen und schwer verletzt wurde. George hatte abwechselnd mit Roz ganze Tage an ihrem Krankenbett verbracht, während sie immer wieder das Bewusstsein verlor. Nach der

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