Schatten über Oxford
das, was sie zwischen den Zeilen hörte. »So wie du dich anhörst, werde ich sie wohl nicht besonders mögen, nicht wahr?«
»Möglicherweise wirst du den lieben Jason und die noch liebere Tracey bald bitterlich vermissen. Vielleicht sogar das allerliebste kleine Krötengesicht.«
»Na, so schlimm können sie doch nicht sein!«
Wie gut, dass sie und George so wunderbar harmonierten. Genau genommen gab es überhaupt keinen Grund, warum sie in die Agatha Street zurückkehren sollte, sagte sich Kate.
»Ich freue mich sehr, dass es dir besser geht«, stellte George an diesem Abend fest.
Nach Kates Erfahrung bedeutete eine solche Bemerkung meist, dass jemand etwas von ihr wollte, was sie nicht unbedingt zu tun bereit war.
»Wieso?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Ich finde, es ist höchste Zeit, dass wir einmal einen netten Abend mit Sam und Emma verbringen.«
Sam war Georges älterer Bruder und seine Frau Emma eine von Kates ältesten Freundinnen, auch wenn sie Kates Verhalten in aller Regel missbilligte. Irgendwie schien alles in Emmas Leben schiefzugehen, sobald Kate in der Nähe war, und Emma gab Kate auch dann die Schuld, wenn es ausnahmsweise einmal nicht an ihr lag.
»Prima Idee«, sagte Kate, immer noch vorsichtig.
»Ich weiß, dass du noch nicht so weit bist, ein großes Abendessen hier zuhause zu organisieren«, meinte George, um dann hastig hinzuzufügen: »Nicht, dass ich es dir nicht zutraue – aber ich glaube, es wäre für uns alle entspannender, wenn wir ausgingen.«
Kate wartete ein paar Sekunden mit ihrer Antwort, um ihn ein wenig zu verunsichern, ob er ihre Gefühle verletzt hätte, ehe sie ihn mild anlächelte. »Und wo würdest du gern hingehen?«
George nannte den Namen eines Restaurants in Nord-Oxford.
»Meinst du das in der Woodstock Road? Es sieht interessant aus, und ich habe mich schon gefragt, wie man dort isst.« Jedenfalls hatte es aus einer gewissen Entfernung und der Sicherheit des Autos ihrer Mutter ganz interessant ausgesehen. »Außerdem stehen die Gäste geradezu Schlange – das ist immer ein gutes Zeichen. Ja, da würde ich wirklich gern einmal hingehen.« Kate war sich durchaus bewusst, dass sie Bonuspunkte für gute Zusammenarbeit sammelte, auch wenn George es noch nicht bemerkt hatte. Sein Gesicht zeigte den leicht verwirrten Ausdruck eines Mannes, der von einer Frau manipuliert wird, ohne genau zu wissen, wohin ihre Bemühungen führen sollen. Kate lächelte ihn weiterhin freundlich an, was ihn noch mehr irritierte, weil er eigentlich eine Auseinandersetzung erwartet hatte.
Eigentlich fand Kate es ziemlich unfair von Emma, dass sie ihr die Schuld für die eine oder andere Schwierigkeit in ihrem Leben in die Schuhe schob. Dabei trug schließlich Emma die Verantwortung für Kates Probleme. Immerhin war es Emmas Mutter gewesen, die plötzlich abhandengekommen war, und Emma, die Kate geradezu gezwungen hatte, nach ihr zu suchen. Und obwohl Kate die alte Dame schließlich ausfindig gemacht und diese Entdeckung beinahe mit dem Leben bezahlt hatte, schob Emma den ganzen damit verbundenen Ärger auf das ausgesprochene Talent ihrer Freundin, Unannehmlichkeiten geradezu magisch anzuziehen. Von Dankbarkeit keine Spur! Die kleine Aufwandsentschädigung, die sie vereinbart hatten, hatte Emma erst bezahlt, nachdem Kate ihr eine schriftliche Rechnung vorlegte, die Emma zunächst akribisch auf die Vollständigkeit der Ausgabenbelege überprüfte.
Trotzdem waren sie Freundinnen geblieben. Emma, die mit ihrem Haufen Kinder und einem chaotischen Haushalt ständig darum kämpfte, wenigstens eine Fußspitze in der Arbeitswelt zu behalten, erinnerte Kate immer wieder daran, wie ihr Leben hätte verlaufen können, wenn sie sich mit zwanzig für Ehe, Häuslichkeit und Mutterschaft entschieden hätte. Zwar betrachtete Emma Kates cremefarbene Seidenhose mit neidvollem Blick. Doch Kates Empfindungen gingen in eine durchaus ähnliche Richtung, wenn sie miterlebte, wie eins der Kinder um eine Gutenachtgeschichte bettelte und dabei klebrige Spuren auf den Jeans der Mutter hinterließ, die Emma mit einer großen Sicherheitsnadel nur notdürftig verschloss, weil sie es nach der letzten Schwangerschaft nicht geschafft hatte, die Pfunde wieder loszuwerden.
Ich bin zwar erst Mitte dreißig, dachte sie, doch meine biologische Uhr tickt gnadenlos. Immerhin ist noch nicht aller Sand in die untere Hälfte des Stundenglases gerieselt. Angesichts dieser Vermischung von Metaphern runzelte Kate
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