Schatten über Oxford
einfach mehr dahinterstecken.«
»Da spricht die Roman-Autorin.« Elspeth nickte.
Eine Autorin, die verzweifelt auf der Suche nach einer Story ist, dachte Kate. »Und wie war Ihr Nachmittag?«
»Sehr nett.« Elspeth hatte eine besondere Art, ein Gespräch zu beenden. Warum tat sie so geheimnisvoll? Na ja, vielleicht hatte sie ihren Liebhaber besucht. Geistliche mussten sich in solchen Dingen vermutlich diskret verhalten.
Kate verstaute die Mikrofiches im zugehörigen Kästchen, griff nach ihrer Jacke, warf sich die Tasche über die Schulter und folgte Elspeth die Treppe hinunter.
»Einen Augenblick noch«, sagte sie und bog in die eigentliche Bibliothek ab. Abteilung Geschichte – dort drüben! Sie suchte sich einige leicht verständliche Bücher aus und präsentierte ihren Bibliotheksausweis. Zwei Minuten später verließen sie und Elspeth das Gebäude. Kate war so mit ihren Überlegungen beschäftigt, wie sie die Spur der beiden Barnes-Kinder finden könnte, dass sie die Menschenmengen in der George Street kaum bemerkte und sich ohne Angst zwischen Bussen und Fahrrädern hindurchschlängelte.
»Haben Sie einige Anregungen für Ihr neues Buch gefunden?«, fragte Elspeth, als sie es sich im Bus nach Headington gemütlich gemacht hatten.
»Neues Buch?«, erwiderte Kate irritiert. »Ach so, das neue Buch! Oh ja, auf jeden Fall. Eine Menge aufschlussreiches Material.« Jetzt würde sie nur noch Estelle überzeugen müssen, dass sie an etwas Aufregendem arbeitete. Hoffentlich rief die Agentin nicht ausgerechnet heute an. Es würde ihr mit Sicherheit den Abend verderben. Nun, zumindest George würde nett zu ihr sein – so wie immer.
Elspeth verabschiedete sich vor Georges Haustür. Kate sah ihr nach. Scharlachrote Caprihosen und ein überdimensioniertes, grün-weiß gestreiftes Sweatshirt. Anstatt hineinzugehen, drehte sie sich um und begann die Armitage Road entlangzuschlendern.
Es handelte sich, wie sie schnell herausfand, um eine völlig normale Straße, die der Cavendish Road sehr ähnlich war. Kate ging auf der Seite mit den geraden Hausnummern und suchte an Toreinfahrten und Haustüren nach Hausnamen. Es gab eine ganze Menge solcher Namen, die samt und sonders den gängigen Erwartungen entsprachen, doch nichts, das auch nur entfernt an »High Corner« erinnerte. Sie probierte die gegenüberliegende Seite mit den ungeraden Hausnummern, wo sie genügend Baumnamen für einen ganzen Wald vorfand.
Kate wurde klar, dass auch Hausnamen Modeströmungen unterworfen waren und dass sich »High Corner« vielleicht zu elitär für das 21. Jahrhundert anhörte. Zu hochnäsig, zu sehr auf Wettstreit bedacht. Jedes einzelne der roten Backsteinhäuser in der Straße hätte diesen Namen tragen können.
In früheren Tagen, vor der Messerattacke, hätte Kate vielleicht an die eine oder andere Tür geklopft und irgendeine nette alte Lady überredet, ihr zu enthüllen, welches der Häuser einmal »High Corner« geheißen hatte und wo sie eventuell jemanden finden konnte, der Chris Barnes gekannt hatte – doch diese Zeiten waren vorbei. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war, in Georges Haus zurückzukehren und sich einen Plan zu überlegen, der sie nicht dazu zwang, mit fremden Menschen zu reden und möglicherweise nicht einmal das Haus zu verlassen.
Sie schloss die Tür zu Nummer 74 auf und versuchte sich einzureden, dass ihr Tag bisher nicht nur zufriedenstellend, sondern auch sehr ermutigend verlaufen war. Je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie, dass es tatsächlich so war.
»Gut gemacht«, lobte Roz, die sie wenig später anrief. »Bald verhältst du dich wieder völlig normal.«
Kate gefiel die Vorstellung ganz und gar nicht, dass sie je anders als normal gewesen wäre, doch sie musste zugeben, dass ein unbefangener Beobachter sie in den vergangenen Monaten durchaus für etwas schüchtern hätte halten können.
»Und wie läuft es so in der Agatha Street?«, erkundigte sie sich. Für einen kurzen Augenblick empfand sie ein nagendes Gefühl, das sie nur als Heimweh bezeichnen konnte. Vermisste sie ihr Haus tatsächlich?
»Deine wunderbaren neuen Nachbarn haben mich gestern Abend auf einen Drink eingeladen«, berichtete Roz.
»Das ist nett von ihnen.«
»Sehr nett.«
»Du hörst dich aber nicht gerade begeistert an.«
»Oh, ich bin sicher, dass Laura und Edward Foster ganz in Ordnung sind. Was den Rotwein anging, haben sie sich jedenfalls nicht lumpen lassen.«
Kate konzentrierte sich auf
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