Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
Vom Netzwerk:
Frauen mit schütterem weißem Haar auf hochlehnigen Stühlen saßen und der Straße den Rücken zukehrten. Wie immer sie dort drinnen leben mochten – sie waren offenbar nicht an dem interessiert, was ihre Nachbarn taten.
    Ehe man sie einließ, musste Kate ihren Namen in eine Gegensprechanlage am Eingang brüllen. Vermutlich wurde genau nachgeforscht, ehe man Axtmörder oder Frauen mit spitzen, scharfen Messern ins Haus ließ. Zumindest hoffte sie das.
    »Ich möchte Violet Watts besuchen«, erklärte sie dem jungen Mädchen im blauen Overall, das sie eingelassen hatte.
    »Werden Sie erwartet?«
    »Nein. Ist das denn wichtig?«
    »Eigentlich nicht.«
    Sie gingen einen in heiterem Gelb gestrichenen und mit gegenständlichen, leicht erkennbaren Bildern ausgestatteten Flur entlang. Alles wirkte sehr sauber. Es roch nach Desinfektionsmitteln, die allerdings einen schwachen Hauch von Inkontinenz und offenen Beinen nicht ganz zu überdecken vermochten.
    Vor einer breiten, rollstuhlgeeigneten Tür blieben sie stehen, und das Mädchen führte Kate in ein Zimmer, das genau ihren Erwartungen entsprach. Am Fenster hingen die obligatorischen blauen Vorhänge, und der Raum war mit einer Art Vinylboden ausgelegt, der vermutlich leicht sauber zu halten war, jedoch nicht besonders gemütlich wirkte. Drei oder vier alte Frauen dösten auf braun bezogenen Sesseln vor dem Fernseher. Man hatte den Ton leise gestellt, um die Damen nicht in ihrer Ruhe zu stören. In einer weit vom Fernseher entfernten Ecke saß eine weitere Frau und strickte irgendetwas in einem so knalligen Lila, als wolle sie auf diese Weise gegen die Gehirnwäsche in Form von langweiligen Talkshows protestieren.
    »Mrs Watts«, sprach das Mädchen die Frau an, »hier ist Besuch für Sie.« Und schon war es verschwunden.
    Kate hielt Ausschau nach einem Hörgerät, konnte aber keines entdecken. Außerdem stellte sich bei näherem Hinsehen heraus, dass Violet Watts zwar alt war, aber keineswegs hinfällig wirkte. Sie mochte Mitte achtzig sein. Kate probierte ein einschmeichelndes Lächeln.
    »Was grinsen Sie so?«, fauchte Violet Watts.
    Kate löschte das Lächeln. Die Sache mit dem Einschmeicheln hatte offenkundig nicht funktioniert.
    »Mrs Watts? Mein Name ist Kate Ivory. Ich bin Schriftstellerin«, begann sie und rückte einen freien Stuhl so zurecht, dass sie sich der alten Dame gegenübersetzen konnte.
    »Was schreiben Sie denn so?«
    »Romane. Historische Romane.«
    »Ich habe noch nie von Ihnen gehört. Unter welchem Namen schreiben Sie?«
    »Kate Ivory«, antwortete Kate resigniert.
    »Sie sehen der Frau ähnlich, die letzten Winter in der Kathedrale um Haaresbreite umgebracht worden wäre.«
    »Genau die bin ich.«
    Sofort wirkte Violet Watts zugänglicher und öffnete den Mund, um neugierige Fragen zu stellen.
    Nein, dachte Kate, ich werde weder über meine Operationen berichten noch die Narbe vorzeigen. »Ich bin gerade dabei, ein Buch zu schreiben, und hatte gehofft, dass Sie mir helfen könnten«, warf sie rasch ein.
    »Und worum geht es in Ihrem Buch? Vermutlich um Erotik. Oder um Mord und Totschlag.«
    »Also …«
    »An etwas anderes denkt ihr jungen Leute heutzutage doch gar nicht mehr«, unterbrach sie Violet Watts. »Wahrscheinlich glauben Sie, das alles wäre auf Ihrem eigenen Mist gewachsen.«
    »Nein …«
    »Aber Sie irren sich! Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, da würden Ihnen die Haare zu Berge stehen.«
    »Genau das hoffe ich ja!« Geschickt nutzte Kate den Moment, als die alte Dame Luft holte. »Wissen Sie, ich möchte meine Story im Zweiten Weltkrieg ansiedeln und brauche noch einiges an Hintergrundinformationen.«
    »Sie wollen tatsächlich meine Geschichten hören?« Mrs Watts wirkte so überrascht, dass Kate nur vermuten konnte, dass ihr normalerweise niemand freiwillig zuhörte.
    »Ja, das möchte ich«, antwortete sie mit fester Stimme. »Doch zunächst habe ich eine Frage: Wissen Sie vielleicht, wo ich ein Haus namens High Corner in der Armitage Road finden kann? Ich bin die Straße hinauf- und hinuntergelaufen, habe es aber nicht entdecken können.«
    »Es ist das Haus an der Ecke«, sagte Violet Watts sofort.
    »Dann muss der Name verändert worden sein.« Natürlich – wenn man darüber nachdachte, musste ein Haus dieses Namens selbstverständlich ein Eckhaus sein. »Können Sie sich vielleicht erinnern, um welche Ecke es sich handelt?«
    »Ja sicher kann ich das. Halten Sie mich etwa für blöd, bloß weil ich alt

Weitere Kostenlose Bücher