Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
Vom Netzwerk:
konnte, waren die vierzehn bleichen Kleckse der Gesichter. Die Augen waren nichts als dunkle Flecken. Ein Kind lag in einem Bett auf dem Rücken und schien kein Interesse für den Fotografen zu zeigen. Die Kopfhaltung verriet Kate, dass dieses Kind sehr krank sein musste – möglicherweise betäubt oder ohnmächtig –, doch ihre Fantasie weigerte sich, es dabei zu belassen. Das Haar des liegenden Kindes war so kurz geschnitten wie das eines Sträflings und hob die vorstehenden Wangenknochen und die Augenschatten hervor. In seinem Gesicht erkannte sie einen Anflug von … ja, von was genau? Furcht? Verletzlichkeit? Trotz vielleicht? Oder Resignation? Wenn sie sich auf das Kindergesicht konzentrierte, konnte sie das alles darin lesen, obwohl es eigentlich nichts anderes war als ein blasser Fleck auf einem unterbelichteten Foto. Handelte es sich überhaupt um ihren Christopher? Christopher Douglas Barnes?
    Sie gab sich zu vielen Vermutungen hin. Zwar passte das Datum, aber vielleicht war ihr Christopher an Keuchhusten, Diphterie oder einer Blutvergiftung nach einem Hundebiss gestorben. Und wieso interessierte sie sich überhaupt für ein ihr völlig unbekanntes Kind?
    Augen , die dir durch den ganzen Raum folgen .Der Ausdruck passte nur allzu gut. Jetzt hör aber auf!, befahl sich Kate. Gleich verfällst du noch auf Du kannst zwar wegrennen , aber du kannst dich nicht verstecken .
    Sie las die Geschichte unter dem Foto, doch die war so unpersönlich wie alle anderen in der Zeitung. Und dann sah sie es. Eines der Kinder war gestorben, nachdem das Foto aufgenommen worden war, und dieses Mal wurde auch der Name genannt: Christopher Donald Branes, elf Jahre alt. Das klang zwar ein wenig anders als ihr Christopher, doch es musste sich um denselben Jungen handeln. Reporter irrten sich häufig, was Namen anging. Und das Alter unterschied sich nur um ein Jahr.
    Im zugehörigen Artikel stand, dass es sich bei den meisten Fahrzeugen, die in Unfälle mit Kindern verwickelt waren, um Militärfahrzeuge handelte. Lediglich der eine Junge, Christopher Barnes – aha, dieses Mal war der Name richtig geschrieben –, war von einem zivilen Fahrzeug überfahren worden. Ein Lieferwagen, las Kate. Das Kind war unvermittelt auf die Straße gelaufen, offenbar, um seiner Schwester zu folgen. Der Fahrer hatte keine Chance gehabt. Das Mädchen namens Susan war von dem Wagen lediglich gestreift worden, der Junge hingegen hatte tödliche Verletzungen davongetragen.
    Die Eltern tragen auf jeden Fall eine Mitschuld, dachte Kate. Ganz zu schweigen von dem Fahrer. Sie hoffte, dass das Gericht die Sache ebenso gesehen hatte.
    Was mochte wohl aus Susan geworden sein? Der Hase oder Teddybär hatte doch sicher ihr gehört. Blieb noch die Adresse. High Corner, Armitage Road. Kate beschloss, die Armitage Road hinunterzulaufen und nach dem Haus zu suchen.
    Und dann? Was sollte sie dann tun? Klingeln und nach einem kleinen Mädchen namens Susan Barnes fragen? Wenn sie nicht ohnehin Branes geheißen hatte. Oder sie hatte geheiratet und einen anderen Namen angenommen, den Kate natürlich nicht kennen konnte. Einziger Anhaltspunkt für Kate blieb der Vorname Susan. Und 1945 dürfte es eine Menge kleiner Mädchen gegeben haben, die auf den Namen Susan hörten.
    Kate hatte sich einige Notizen gemacht, die sie jetzt, während sie über die Barnes-Kinder nachdachte, unterkringelte. Anschließend fügte sie ein paar Blumen hinzu, zeichnete einige Blätter und umrandete das Ganze mit fünfzackigen Sternen die sie teilweise ausmalte.
    »Na, immer noch beschäftigt?«, erkundigte sich eine Stimme hinter ihr.
    Kate klappte das Notizbuch zu und fuhr herum.
    »Ach, Elspeth. Ja, der Nachmittag ist recht erfolgreich verlaufen. Ich habe einen Zeitungsbericht darüber gefunden, wie Christopher Barnes gestorben ist. Er wurde von einem Lieferwagen überfahren und erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen.«
    »Armer Kleiner. Das war’s dann wohl.«
    »Nicht ganz. Warum hat er seine Schätze in unserem Haus versteckt?«
    »Ist das denn wichtig?«
    »Möglicherweise nicht.«
    »Aber?«
    »Es ist das Foto, das ich in der Zeitung gefunden habe. Er sieht so hoffnungslos aus. Ein weißes Gesicht mit tief liegenden Augen. Er liegt einfach nur da, aber ich habe den Eindruck, er will mir etwas sagen.«
    »Aber Sie waren doch damals noch gar nicht auf der Welt«, entgegnete Elspeth vernünftig.
    »Ich muss einfach mehr über ihn herausfinden. Der Artikel klang so steif – es muss

Weitere Kostenlose Bücher