Schatten über Oxford
hängenden Armen daneben und sah ihr zu. Sie schien sich zu keiner Entscheidung durchringen zu können. Hatte Mutterschaft diesen Effekt auf Frauen?, fragte sich Kate.
»Schmeiß das Teil lieber weg. Die Farben sind scheußlich«, befahl sie beim Anblick eines erbsengrün und gelb gemusterten Kleides. »Und bei diesem hier ist der Saum abgerissen.« In diesem Tempo hätte sie bald eine gewisse Ordnung in den Schrank gebracht.
»Aber wir sind nicht hier, um meinen Kleiderschrank auszumisten, sondern weil ich etwas anzuziehen brauche«, wandte Emma ein.
»Ich kann nicht sehen, was du hast, ehe ich nicht die gröbsten Sünden aussortiert habe.« Mit diesen Worten reichte sie Emma ein paar verblichene Röcke zur Entsorgung.
Fünfzehn mitleidlose Minuten später betrachtete Kate mit kritischem Blick die auf der Stange verbliebenen Kleidungsstücke.
»Lieber Himmel«, japste Emma, »vielleicht solltest du dir einmal die Zeit nehmen, mit dem Rest dieses Hauses genauso zu verfahren.«
»Ab in den Müll damit«, kommandierte Kate und wies auf einen Stapel auf dem Boden, der keine Gnade vor ihren Augen gefunden hatte. Innerlich aber schauderte ihr bei dem Gedanken an das riesige Haus und seinen vor unnützem Zeug überquellenden Schränken.
»Normalerweise gebe ich so etwas an karitative Organisationen.«
»Auf keinen Fall, Emma. Oxfam würde sich ganz und gar nicht freuen, wenn du deine alten Klamotten dort loswerden wolltest. Auch Oxfam hat gewisse Standards.«
»Aber das ist doch Verschwendung!«
»Nein, ist es nicht. Deine Kleider haben ein langes, nützliches Leben gehabt, das jetzt vorbei ist. Und jetzt zu deinem Outfit für heute Abend.«
»Ich finde, meine Kleider sehen deutlich vielversprechender aus, seit du einiges aussortiert hast.«
»Dieses Schieferblau hier steht dir ausgezeichnet. Passt du da noch hinein?«
»Schon, aber es ist zu lang. Eigentlich soll es eine Art Tunika sein, die ich zu meiner guten schwarzen Hose tragen wollte. Aber die ist mir in der Taille zu eng geworden. Und an den Hüften.«
»Probier sie einmal an. Ich glaube nicht, dass du so viel dicker geworden bist. Mal sehen, was wir machen können.« Kate hatte keine Zeit, diplomatisch und schmeichelnd zu sein.
»Nicht schlecht«, stellte sie fest. »Die Tunika kaschiert die Stellen, an denen die Hose ein bisschen spannt. Nein, Emma, keine Sicherheitsnadel. Allerdings müssen wir hier und da noch einen kleinen Stich tun. Wo bewahrst du deine Stecknadeln auf? Und das Nähzeug? Ich brauche außerdem ein feuchtes Tuch, Fleckenentferner, ein Bügeleisen und ein Bügelbrett. Du könntest dir in der Zwischenzeit ein Paar Schuhe aussuchen und sie gründlich putzen«, fügte sie gebieterisch hinzu.
Emma, beflügelt von der Aussicht, wenigstens einmal im Leben elegant gekleidet zu erscheinen, suchte zusammen, was Kate verlangt hatte. Beide machten sich an die Arbeit.
Über ihre Näherei gebeugt, fragte Kate: »Was ist eigentlich los mit dir, Emma? Wir gehen doch nur mit Familie und Freunden essen – normalerweise regt dich das nicht so auf.«
»Ich bin nicht aufgeregt«, entgegnete Emma mit gepresster Stimme.
»Mach mir nichts vor. Du bist stinksauer über irgendetwas.« Kate schnitt ein Stück Faden ab und schob es durch das Nadelöhr.
»Es ist Sam«, gestand Emma schließlich. »Er ist ekelhaft zu mir.«
»Sam?« Emmas Ehemann erinnerte Kate immer an einen großen, pelzigen Teddybär. Sein normaler Gesichtsausdruck war ein freundliches Lächeln.
»Dabei habe ich nur gesagt, dass Jack allmählich in ein Alter kommt, in dem er wirklich einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester bekommen sollte«, beklagte sich Emma.
»Und all seine großen Brüder und Schwestern zählen dabei nicht?«
»Natürlich nicht! Das ist doch absolut nicht das Gleiche!«
»Manchmal glaube ich, du bekommst Kinder, damit du Geschichten für sie schreiben kannst.«
Emma schrieb erbauliche Geschichten für Kinder, die zwar von einem renommierten Verlag veröffentlicht wurden, es aber nie schafften, auf etwas Vulgärem wie einer Bestsellerliste zu erscheinen.
»Aber das stimmt doch gar nicht! Das sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Aber Sam hat genau das Gleiche zu mir gesagt wie du eben, und zum Schluss machte er mir allen Ernstes den Vorschlag, wir sollten jetzt endgültig mit dem Kinderkriegen aufhören, weil wir genug Nachwuchs hätten.«
»Und damit bist du nicht einverstanden?« Zwar tat Kate ihr Bestes, neutral zu erscheinen, doch ihr
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