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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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dein Spielzeug«, sagt sie. »Böse Mädchen haben kein Recht auf ein Spielzeug.« Sie beugt sich vor, nimmt Betsy von Susies Schoß, hält sie an einem Ohr hoch und starrt sie an. Dann lächelt sie. Es ist immer noch ihr böses Lächeln.
    Ich habe das Taschenmesser von Onkel Alan in der Tasche. Ich nehme es heraus, lasse die größte Klinge aufspringen und möchte am liebsten so lange auf sie einstechen, bis sie tot ist.
    »Was hast du da, Christopher?«, fragt sie.
    »Nichts«, sage ich.
    Trotzdem nimmt sie mir das Messer weg. Und dann schneidet sie damit in Betsys Pfote, bis die Sägespäne herauskommen. Sie tut es ganz langsam, damit wir auch sehen, was sie macht. Und sie schaut Susie die ganze Zeit an. Susie hört vielleicht für eine Minute auf zu weinen und atmet ganz komisch, als hätte sie Schluckauf.
    »Es ist nur ein Spielzeug, Susie«, sage ich. »Es tut Betsy ganz bestimmt nicht weh.«
    Aber ich glaube, Susie hört mich nicht. Oder sie hört mich, glaubt mir aber nicht.
    Miss Marlyn klappt das Messer zusammen und steckt es in die Tasche. Sie trägt ihre graue Strickjacke und steckt es in die linke Jackentasche.
    »Und jetzt kommt Betsy weg. Du darfst eine Woche lang nicht mit ihr spielen«, sagt sie zu Susie.
    Eine Woche. Das hört sich nicht viel an, aber für Susie ist es eine Ewigkeit. Sie braucht den Hasen zum Einschlafen.
    »Und du brauchst kein solches Messer, Christopher«, sagt Miss Marlyn zu mir.
    »Sie dürfen es nicht behalten!«, sage ich. »Das ist Diebstahl!«
    »Unsinn«, sagt sie. Dann geht sie aus dem Zimmer und nimmt unsere Sachen mit.
    Aber ich kann sie hören. Sie geht ins Esszimmer. Dort lässt sie uns nie hinein. Sie sagt, dass wir dort nichts verloren haben. Bestimmt steht dort ihr Funkgerät, damit sie mit den Deutschen reden kann, wir sie aber nicht hören. Sie bringt unsere Sachen in dieses Zimmer, aber ich hole sie uns zurück. Sie hat sie gestohlen und ist eine Diebin. Ich wünschte, Papa wäre hier. Er würde es ihr schon sagen.
    Als Susie ins Bett geschickt wird, geht sie, so wie immer. Aber ich kann sie im Bett hören. Sie weint. Nachdem wir eine halbe Stunde im Bett liegen, beschließe ich, nach unten zu gehen. Ich glaube, jetzt bin ich sicher. Ich weiß, dass Danny bei ihr unten ist, und vielleicht auch Mr Watts. Sie sind alle Diebe. Alle. Ich höre sie unten reden und lachen. Ganz leise schleiche ich mich die Treppe hinunter. Als ich am Esszimmer vorbeikomme, sehe ich, dass die Tür offen steht. Sie machen viel Lärm. Ich glaube nicht, dass sie mich hören oder bemerken. Ich dachte, sie wären fertig mit dem Essen, aber das stimmt nicht.
    Sie machen so viel Krach und kümmern sich um nichts, deshalb bleibe ich stehen und schaue heimlich ins Zimmer. Miss Marlyn und Danny Watts sitzen am Tisch und essen. Nicht das Zeug, das wir immer bekommen. Keine vertrockneten Sandwichs mit Fischcreme und Bratäpfel, sondern richtiges Essen. Es gibt Fleisch mit Soße, Berge von Kartoffeln und Gemüse. Außerdem haben sie Gläser voller Whisky oder so etwas. Sie sitzen am Tisch und stecken die Köpfe ganz eng zusammen. Und Miss Marlyn trägt einen Rock. Nicht Hosen, wie sonst immer.
    Es sind unsere Rationen, die sie da essen. Uns geben sie jedem nur ein Würstchen, aber sie essen unser ganzes Fleisch. Jede Wette, dass sie auch unsere Süßigkeiten essen. Bestimmt haben sie von den Amerikanern Schokolade und solches Zeug bekommen. Trotzdem bestehlen sie uns.
    Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich schleiche die Treppe wieder hinauf und warte oben in der Dunkelheit, bis sie fertig sind mit essen. Die Zeit kommt mir sehr lang vor, und beinahe wäre ich eingeschlafen. Aber ich halte mich wach und denke darüber nach, was ich mit ihnen tun würde, wenn ich erwachsen wäre und mein Messer wiederhätte. Endlich höre ich an ihren Stimmen, dass sie aus dem Esszimmer kommen.
    »Wir lassen die Teller einfach stehen, Danny«, sagt sie. »Violet kann sich morgen darum kümmern.«
    »Aber was wird sie denken, wenn sie zwei Gedecke sieht?«, fragt Danny.
    »Das ist mir egal«, sagt sie. »Verdammt egal. Violet kann denken, was sie will.«
    Und dann gehen sie ins Wohnzimmer und machen die Tür zu.
    Die großen Lichter haben sie ausgeknipst und nur eine kleine Lampe an der Wand angelassen. Sie sieht aus wie eine Kerze, ist aber elektrisch. So eine Verschwendung, denke ich. Mama und Onkel Alan würden mit uns schimpfen, wenn wir so viel Strom verschwendeten. Trotzdem ist es nicht schlecht, denn so kann

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