Schatten über Sanssouci
wurde.
»Schneller, Herr
Musikus«, befahl der Grenadier hinter ihm. »Schlaf Er nicht ein.«
4
Sophie
nippte an dem Weinglas. Ein feiner wässrig-roter Tropfen blieb an ihrer Lippe
hängen und rann langsam zum Kinn hinunter. Das vertraute Weintrinken –
wechselseitig, aus einem einzigen Glas, das Quantz aus Venedig mitgebracht
hatte – war ein Ritual, das sie immer in seiner Schlafkammer zelebrierten.
Doch dann saßen sie
nicht mehr an dem schmalen Holztisch, auf dem gerade einmal der Kerzenleuchter
Platz hatte. Sophie tanzte jetzt in hellem Sonnenschein über eine Wiese. Ein
Bach schlängelte sich von einem Wald her, und Quantz – deutlich verjüngt und beweglich
wie Adonis – begleitete sie auf seiner Flöte. Die Melodien verliehen dem
leuchtenden Himmel ein noch tieferes Blau, sie winkten den Wolken und einem
Vogelschwarm weit oben über den Hügeln zu, und selbst die im leichten Wind
schwankenden Äste der Bäume schienen auf ihre Art in die Weise einzustimmen und
nahmen den wiegenden Rhythmus an. Sogar aus dem Murmeln des Wassers drang ein
Echo der Melodie.
Ich bin Orpheus,
dachte Quantz voller Freude, der Orpheus der Flöte. Die Natur gehorcht meinen
Tönen. Sie hebt an zu tanzen und zu singen, wenn ich aufspiele. Wie glücklich
bin ich doch.
Da zerbrach das
Bild, und eine schwarze Wolke fraß die bunte Landschaft in Sekundenschnelle.
Eine plötzliche Kälte erfasste ihn, und gleichzeitig ließ das Donnern eines Gewitters
alles erzittern. Quantz, von Frösteln gepackt, schlug die Augen auf. Um ihn
herrschte Dunkelheit.
Er lag neben Sophie.
Stoff raschelte. Sie war wach. Ein Schwall weiblichen Duftes drang aus der
warmen Höhle des Bettzeugs, als sie sich aufrichtete.
»Haben Sie gehört?«,
flüsterte sie ängstlich.
»Was?«, fragte
Quantz. Da wurde unten gegen die Tür gehämmert. Das Haus schien unter den
Schlägen zu beben. »Aufmachen«, schrie eine Stimme, hart wie Granit und
unerbittlich. Irgendwo rumpelte es. Sophies Gesicht erschien im zitternden
Licht einer Flamme vor ihm.
»Was ist da los?«,
rief Quantz, der jetzt vollständig wach war. Sophie reichte ihm den Leuchter.
Kaum war er auf der Treppe, da erschütterten wieder die Schläge das Haus.
»Hören Sie nicht?
Sofort öffnen«, kam es wieder von draußen. Trakow und Sperber versperrten ihm
den Flur. Quantz drängte sich vorbei und schloss auf. Draußen stand eine
Wachpatrouille. Ein Pferd scharrte mit den Hufen.
»Kammermusikus
Quantz. Sind Sie das?«, rief ein Grenadier.
»Ja, aber was –?«
»Mitkommen. In die
Kutsche.«
Erst jetzt erkannte
Quantz das wartende Coupé. »Wohin? Was ist denn überhaupt geschehen?«
»Zum König.«
Der Himmel zeigte
erste Streifen von blauem Licht. Der Appell hatte noch nicht stattgefunden. Der
König allerdings war um diese Zeit bereits auf und ging seinen
Regierungsgeschäften nach.
»Sofort!«, rief der
Soldat wieder. »Muss ich Ihm Beine machen?« Die Bajonette seiner Kameraden
senkten sich, als Quantz einen Schritt zurück in den Gang machte.
»Ich werde mich wohl
ankleiden dürfen.«
»Eine Minute«,
bellte der Grenadier.
Trakow und Sperber
hatten sich wieder in ihre Stube zurückgezogen. Als Quantz die Treppe
hinaufging, überfiel ihn der Schrecken wie ein Schmerz, der erst einige
Atemzüge später einsetzt, nachdem man sich geschnitten hat. Auf halber Strecke
musste er stehen bleiben und tief durchatmen, bevor er weitergehen konnte.
Sophie wartete in
der Schlafkammer. Ihr Gesicht war blass. »Was wollen die?«
»Ich weiß nicht. Es
ist … sehr ungewöhnlich.«
Seine Hände wollten
ihm nicht gehorchen, als er sich fahrig ankleidete. Er stürzte beinahe, als er
in die Kniehosen stieg, mit dem Fuß hängen blieb und das Gleichgewicht verlor.
Sophie half ihm mit Jabot und Perücke. Als er endlich den hellblauen Rock
anlegte, trampelten Schritte die Treppe herauf, und die Wache drängte sich ins
Schlafzimmer.
Der Raum füllte sich
mit Bieratem und Schweißgeruch. Der Anführer warf einen hämischen Blick auf
Sophie, die wenigstens ihr Unterzeug trug, aber mit offenen Haaren dastand.
»Es war eine Minute
befohlen.«
In Quantz ballte
sich Zorn zusammen. »Raus hier«, schrie er. »Was fällt Ihnen ein? Ich komme ja
schon!«
Die Kutsche nahm
dieselbe Strecke, auf der die Musiker auch sonst zum Konzert ins Schloss gelangt
waren. Aber dieses Gefährt fuhr viel schneller als das von Brede. Es donnerte
über das harte Pflaster, dass Quantz die Stöße schmerzhaft in seiner
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