Schatten über Ulldart
die Gelegenheit zu einer Tat bekam. Doch das Warten zehrte an den Nerven aller Beteiligter, wie Waljakov es vorausgesagt hatte. Die Gereiztheit stieg von Stunde zu Stunde.
Zu allem Überfluss hatte ein Bote einen Tag zuvor die Nachricht von einem Aufstand im Gebiet des Brojaken Kaschenko gebracht.
Der Großbauer bat um baldige Hilfe, da seine wenigen Bewaffneten die Lage alleine nicht mehr in der Gewalt hätten. Die Aufständischen, rund eintausend an der Zahl, würden alles, was sich ihnen in den Weg stellte, erbarmungslos niedermachen, bald erreichten sie die Grenzen seines Besitzes, und auch die anderen Brojaken müssten um Leben und Gut fürchten. Ihr Anführer wolle nur mit dem Gouverneur verhandeln.
Zuerst hatte Waljakov, wie Lodrik und alle anderen im Palast, an eine plump gelegte Falle gedacht, doch die Nachrichten aus dem Gebiet häuften sich, die übrigen Granburger wurden unruhig.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jukolenko seine Finger im Spiel hatte.« Stoiko sprach während des Tees aus, was alle in der Kanzlei Versammelten dachten. Das kleine Zimmer war zu ihrem liebsten Versammlungsort geworden, weil es absolut abhörsicher war.
»Ich verstehe das auch nicht.« Waljakov schaute finster in den brennenden Kamin. »Dabei waren die Menschen vor ein paar Tagen so begeistert von Euch, Herr.«
»Um so sicherer ist es, dass ein anderer hinter den Aufständischen steckt«, stimmte Miklanowo Stoikos Bedenken zu. »In der ganzen Stadt herrscht Unsicherheit über das Verhalten in Kaschenkos Gebiet. Wenn es einen Anlass zu einer Erhebung gegeben hätte, dann unter Jukolenko.«
»Vielleicht glauben die Menschen, dass der neue Gouverneur schwächer als der alte ist, und versuchen deshalb ihr Glück?«, schlug Torben vor, dessen Teetasse mit Grog gefüllt war.
»Nein, das ergäbe keinen Sinn«, beharrte der bärtige Brojak. »Es steckt mehr dahinter.«
»Ich empfehle Euch, schickt gleich morgen eine Gar nison aus, die den Aufstand beendet«, sagte Waljakov. Lodrik nickte. »Und ich werde an der Spitze des Zu ges reiten.« Der Gouverneur streckte sich.
»Wieso nur wusste ich, dass er das will«, murmelte der Leibwächter und leerte seine Tasse, um anschlie ßend laut Einspruch zu erheben. »Eigentlich müsste ich nichts mehr zu dieser Sache sagen, Herr, aber Ihr scheint in der Beziehung nicht sehr einsichtig zu sein.
Ihr könnt nicht mit, weil Ihr Euer Leben und die Zu kunft Ulldarts aufs Spiel setzt.«
»Und wenn ich nicht mitreite, verlieren viele hundert Soldaten und Bauern ihr Leben. Das gerade erworbene Vertrauen, dass die meisten Granburger in mich gewon nen haben, wäre dahin, und ich müsste die Provinz so regieren, wie sie Jukolenko regiert hat. Und das, Walja kov, will ich beim besten Willen nicht!« Lodrik wurde aufgebrachter und lauter. »Es wird in Zukunft, und merkt es Euch alle, keine langen Reden mehr geben, wenn ich etwas möchte. Ich fälle meine eigenen Ent scheidungen. Ich bin der Gouverneur, der Tadc und der zukünftige Kabcar. Haben das alle hier drinnen verstan den?!«
Die Männer verneigten sich. »Ja, Herr, wir haben Euch verstanden«, antwortete Stoiko stellvertretend und wirkte dabei etwas steif. »Wir haben uns nur Sorgen um Euch gemacht. Aber es scheint wohl an der Zeit, dass Ihr das Ruder vollständig übernehmt. Von nun an werden wir uns nicht mehr in Regentenangelegenheiten einmischen.«
»Verdammt«, fluchte Lodrik und warf seine Tasse gegen den Kamin, der Tee spritzte nach allen Seiten davon, die Scherben verteilten sich klirrend im Raum.
»Ich wollte Euch nicht beleidigen, aber ich will nicht mehr wie ein kleines Kind behandelt werden. Ich weiß, was auf dem Spiel steht, wenn ich sterbe, aber ich habe nicht die Absicht, in naher Zukunft in die Ewigkeit ein zugehen. Und wenn es doch geschieht, dann war es Ull draels Wille.« Der junge Mann beruhigte sich allmäh lich wieder. »Ihr seid meine besten Freunde, und des halb bitte ich Euch, unterstützt mich von heute an nur noch, aber lasst das Bevormunden sein. Ich muss das Regieren lernen, und dazu gehört auch, dass man sich Gefahren stellt.« Lodrik wandte sich ab und starrte in die Flammen. »Und jetzt lasst mich alleine. Ich muss nachdenken.«
Einer nach dem anderen verließ die Kanzlei, bis der Gouverneur alleine war.
»Ich finde, er kommt sehr nach seinem Vater, je älter er wird«, sagte Stoiko auf dem Gang zu Waljakov, der zustimmend den Kopf neigte. »Ein Choleriker, wie er im Buche
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