Schatten über Ulldart
stellst du dir das vor?«, begehrte der Thronfolger auf. »Sie würde mit dem Geld, das sie zur Verfügung hat, ganz Tarpol gegen mich aufwiegeln.«
»Andererseits hättet Ihr sie dann einfacher unter Kontrolle, Herr. Und sie wäre immer in Eurer Nähe. Ihr habt doch Interesse an ihr, mehr als Ihr vor mir und anderen verbergen könnt, oder liege ich da völlig falsch?«
»Auch wenn sie die spitzeste Zunge hat, die ich jemals kennen gelernt habe, sie besitzt eine Tugend, die sie mir ungeheuer sympathisch macht.«
»Ja, das Gesicht hat etwas. Vor allem die kleine Narbe an der Schläfe lässt sie verwegen aussehen, wie eine Kämpferin«, schwärmte Stoiko. »Und als sie nach dem Dolch gegriffen hat, als sie Euch noch nicht erkannt hatte, sah sie sehr eindrucksvoll aus.«
»Ich meinte nicht ihre Schönheit«, knurrte der Gouverneur. »Sie ist ehrlich und sagt ihre Meinung geradeheraus, das schätze ich.«
»Tja, was nutzt alle Schönheit, wenn das Weib falsch wie eine Schlange ist«, bemerkte der Vertraute. »Und bei Eurer Cousine, mit Verlaub, täte man einer Schlange dazu noch Unrecht.«
»Ich hoffe, die erhält einen niederen Schreiber zum Mann«, wünschte sich Lodrik. »Ich hätte meinem Vater noch schnell eine Nachricht zukommen lassen können, damit er sie mit der Hochzeit so richtig demütigt.«
»Das hätte er aber nicht getan«, zweifelte Stoiko. »Die Hochzeit soll die Baronie im Guten an Tarpol binden und keinen Vorwand für eine Trennung liefern. Vermutlich wird Oberst Mansk der Glückliche sein.«
Der Statthalter prustete los. »Das würde mir auch recht sein. Für die Idee, mich nach Granburg zu schikken, hat er nichts anderes verdient.«
»Ihr wollt damit doch nicht andeuten, dass es Euch hier nicht gefällt, bei solch einer schönen Aussicht?« Der Vertraute schaute zu Norina. »Und gelernt habt Ihr mehr, als ich und die anderen Privatlehrer Euch in Ulsar beibringen konnten. Ganz zu schweigen von den vielen mehr oder weniger gefährlichen Abenteuern.«
»Das stimmt allerdings«, murmelte Lodrik und legte die Hand in Höhe des Amuletts auf die Rüstung.
Die Mauern des Gehöfts tauchten am Horizont auf, die Tiere verfielen von selbst in eine schnellere Gangart, weil sie den nahenden Stall vor Augen hatten.
Der Gouverneur ließ sich von Stoiko noch ein paar Ratschläge für die Fortsetzung des Disputs mit der Brojakentochter geben, dann rollte der Tross in den Innenhof.
Miklanowo bugsierte den jungen Mann sofort nach dem Absteigen in das große Gesellschaftszimmer und rang ihm das Versprechen ab, auf keinen Fall in die Küche zu kommen, um nach dem Essen und den Vorbereitungen für das Fest zu sehen.
Ein bisschen widerwillig stimmte der Statthalter zu und nutzte die Gelegenheit, sich zum Schein in die Büchersammlung des freundlichen Großbauern zu vertiefen. In Wirklichkeit betrachtete er hinter einem als Sichtschutz aufgeschlagenen Folianten das Schmuckstück, das ihm seine Besucher überlassen hatten.
Die ganze Oberfläche des Schmuckstücks war von einem dunkelorange braunen Belag überzogen, nur vereinzelt schimmerte das Metall schwarz auf, als ein sanfter Lichtstrahl auf das Amulett fiel. Die wenigen sauberen Ziselierungen glänzten silbrig.
Der düstere, augengroße Stein im Zentrum des Kleinods wurde in einem beruhigenden Rhythmus heller und dunkler, pulsierte wie ein langsam schlagendes Menschenherz.
Neugierig wendete Lodrik das Schmuckstück, wo sich ebenfalls verdreckte Ziselierungen fanden, die aber im Gegensatz zur Vorderseite ein eigenartige Muster bildeten. Wenn es sich bei den Gravuren um eine Sprache handelte, konnte der junge Mann nichts damit anfangen. Vielleicht war es die Sprache der Modrak.
Die Modrak, so war ihm ausgerechnet während des Ausritts eingefallen, gehörten ins Reich der Legenden. Sie hatten nichts mit den Sumpfbestien gemein, sondern galten als rätselhafte Wesen, die die Nähe des Menschen suchten, ohne mit ihm Kontakt aufzunehmen, wenn er sich richtig an das Gelesene erinnerte.
Die Modrak waren nur bei einem Schreiber erwähnt worden, deshalb hatte er sich erst so spät daran erinnert. Der Autor des Buches vertrat die Meinung, dass die Ungeheuer sich von den schlechten Gefühlen der Menschen ernährten. Bosheit, Zorn, Angst, Verzweiflung, Hass, Zank und Streitigkeiten wären die bevorzugte Nahrung der Wesen, weshalb man sie heute nicht mehr so oft sehen würde wie zu Sinureds Zeiten.
Vorsichtig legte Lodrik das Amulett auf den Tisch und betrachtete
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