Schatten über Ulldart
erkennen, vereinzelt mischten sich die Töne einer Ziehharmonika dazu, deren Spieler Fingerübungen zu machen schien.
Plötzlich schwebte der Duft von gebratenem Fleisch in den Raum, und Lodrik hatte die schmackhafte Vision eines saftig gegrillten Ochsens vor Augen.
In Windeseile legte er sich die Schärpe um, schlüpfte ins Wehrgehänge und zog die letzten Falten aus dem Stoff.
Vor der Tür warteten Stoiko und Waljakov, die sich ebenfalls ihre besten Monturen angelegt hatten.
Herausragend wie immer war die Gestalt des Leibwächters, ein Gebirge aus Muskeln und taudicken Sehnen, das kantige Gesicht zeigte den üblichen fast bösartigen Ausdruck. Nur die wenigsten ahnten, dass hinter der rauen Schale ein zwar nicht weicher, aber doch zumindest nicht ganz so harter Kern steckte.
Stoiko wusste, dass er gegen die eindrucksvolle Statur des Mannes wie ein halbes Hemd wirkte, deshalb versuchte er erst gar nicht bedrohlich zu wirken, sondern setzte sein amüsiertes Lächeln zielgerecht als Gegenpol zu dem Leibwächter ein.
»Exzellenz sieht aber sehr gut aus«, sprach der Vertraute sein Kompliment aus.
»Die Uniform sitzt ein wenig zu eng, aber ansonsten kein Vergleich zu dem Bild, das Ihr noch vor wenigen Wochen abgegeben habt.« Waljakov rückte den steifen Kragen zurecht.
»Wer redet hier denn von zu eng?« Stoiko drehte sich um und tippte auf die Oberarme, die den Stoff der Uniform zu sprengen drohten. »Du solltest dir eine Ecke suchen und ruhig stehen bleiben, damit dir dein Gewand nicht zerplatzt, wenn du den Arm hebst.«
»Ich unterbreche euch nur ungern«, meldete sich Lodrik und spazierte durch die Mitte. »Aber ich habe schrecklichen Hunger. Ich gehe jetzt dorthin, wo es was zu essen für den zweitwichtigsten Mann in Tarpol gibt.«
»Gibt es da auch was für Leute, die weniger wichtig sind?«, erkundigte sich der Vertraute grinsend und folgte dem Thronfolger, Waljakov schloss zu den beiden auf.
Miklanowo fing die kleine Gruppe an der Haupttür freudestrahlend ab. »Ah, Gouverneur. Ich wollte Euch gerade abholen kommen.«
»Nicht notwendig. Ich bin den feinen Gerüchen gefolgt, die meinen Magen langsam aber sicher zum Wahnsinn treiben.«
»Um so mehr freut es mich, dass unser kleines Fest zu Ehren des Königlichen Statthalters nun endlich beginnen kann.« Der Brojak öffnete schwungvoll die Tür. »Herrschaften, der Gouverneur von Tarpol, Harac Vasja.«
Kaum erschien der junge Mann etwas unsicher lächelnd in der Tür, setzte die Musik ein.
Es war kein tarpolischer Militärmarsch, auch keine klassische Weise oder ein Volkslied, sondern etwas viel Schnelleres, Temperamentvolleres und Heißblütigeres als alles, was der Statthalter bisher zu hören bekommen hatte.
Die Geigenbögen schossen nur so über die Saiten, die Finger rasten über die Tasten der Ziehharmonika, und die Frau mit der Schellentrommel gab einen Takt vor, der unweigerlich in die Füße ging.
»Kommt, ich bringe Euch an Euren Platz, Exzellenz.« Der Brojak fasste ihn am Ellenbogen und führte Lodrik vorbei an der riesigen Tafel, an der sich alle Gäste erhoben hatten und sich vor ihm verneigten, sobald er vorüberging.
Ganz am Kopf des mindestens zehn Meter langen Tisches musste er sich niederlassen, links von ihm nahm Stoiko Platz, der Leibwächter stellte sich hinter den Stuhl seines Schützlings.
»Darf ich Euch meine Gäste vorstellen, Exzellenz?« Miklanowo stand zu seiner Rechten und ging die Sitzordnung der Reihe nach durch. Alle Namen konnte sich der Statthalter nicht merken, dennoch registrierte er sehr schnell, dass nur wenig hochrangiger Adel anwesend war. Die meisten Menschen an der Tafel waren Landpächter, mittelgroße Brojaken und ein paar mehr oder weniger reiche Brojaken.
Alle Genannten prosteten ihm zu und setzten sich dann auf ihren Stuhl, sobald die Erklärung zu ihrer Person abgeschlossen war.
Lodrik musterte ihre Gesichter sehr aufmerksam, konnte aber keinerlei Feindseligkeit entdecken. Vermutlich hatte er hier die besten Verbündeten in der Provinz sitzen, wenn es um Maßnahmen gegen die übrige Oberschicht ging.
In Gedanken kehrte er zum Streitgespräch mit Norina, die neben ihrem Vater saß, zurück. Mit Schaudern dachte er daran, welche Änderungen sie vorgeschlagen hatte. Was aber, wenn ihre Ideen gar nicht so verkehrt waren? Ein bisschen mehr Ausgleich, so fand er mehr und mehr, würde dem Reich vielleicht gar nicht mal so schlecht bekommen.
Nach schier endlosen Minuten kam die Vorstellung an ihr
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