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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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feines Netz aus verworrenem Haar, das alle Facetten von Zoë mit sich trug. Bei dem Gedanken, dass die Hyänen ihr etwas antun könnten, krampfte sich mir das Herz zusammen. Wenn ich bisher noch gezögert hatte, hatte ich jetzt eine sehr präzise Antwort: Kämpfen. Bis aufs Blut, wenn es sein musste.
    Sie blickte in die Ferne. Ich konnte nur ihren Wangenbogen sehen.
    »Schau mal, da drüben, der weiße Klotz – das ist das Krankenhaus«, sagte sie. »Da wurde ich geboren und meine Mutter arbeitet dort. Und ich werde nicht zulassen, dass diese Bestien hierbleiben. Und noch viel weniger, dass sie irgendeinen von uns vertreiben – oder Schlimmeres.«
    »Das werden wir alle nicht zulassen«, antwortete ich.
    »Warum haben sie mich verschont?«, fragte sie nachdenklich. »Ich saß mitten in Maurice’ Revier.«
    »Vielleicht warst du einfach schneller als sie. Hyänen klettern bei der Jagd nicht. Schon gar nicht auf Feuerleitern. Wenn sie ihren menschlichen Anteil während der Jagd ausgeschaltet hatte n …«
    »Der Mörder auf der Brücke konnte klettern«, wandte sie ein. »Also sind es schon fünf. Mindestens. Und vielleicht ist einer davon gar keine Hyäne.«
    Sie drehte sich um und sah mir in die Augen. Ich war überrascht, dass sie lächelte. Ein wenig Nervosität zeichnete sich darin ab. So als würde sie mich zum ersten Mal betrachten. »Alles ist anders«, sagte sie so leise, als würde sie mir ein Geheimnis erzählen. »Während ich aus dem Fenster und direkt in meinen Schatten gesprungen bin, ist etwas passiert. Ich dachte nur an Leon und daran, dass ich ihm etwas antun könnte – ich oder die anderen. Und während ich fiel, hat sich alles verändert. Ich kann dich sehen, Gil. Die Grenze ist nicht mehr da.«
    Diese Worte und die Art, wie sie mich ansah, beunruhigten mich mehr, als ich zugeben wollte. »Was meinst du damit?«, fragte ich.
    Wieder dieses seltsam entrückte, ungläubige Lächeln. »Ich sehe eure Schatten. Wenn du den Kopf wendest, wenn du dich bewegst, dann sehe ich dich – und gleichzeitig ist da ein schwarzer Leopard.«
    Das war wirklich ein Schock. Meine Kehle war mit einem Mal ausgedörrt. Zoë, eine Seherin? Wie konnte das sein? Dazu kam noch der zweite Schock: Tausendmal hatte ich mich gefragt, welcher Schatten zu mir gehörte. Nun trat er zu mir wie ein ungebetener Gast. Ein schwarzer Leopard also, ein Panther.
    »Vielleicht geht es ja vorbei«, sagte Zoë. Ich spürte, dass sie auf eine Antwort wartete. Ich hatte sie von der Brücke gerettet und sie beschützt; ich sollte derjenige sein, der wusste, was nun zu tun war. Aber ich war ratloser denn je.
    »Manche von uns werden zu Sehern«, sagte ich zögernd. »Rubio hat es beschrieben. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass du trotz deiner Höhenangst gesprungen bist.«
    Zoë sah mich zweifelnd an und ich empfand plötzlich etwas völlig Verrücktes. Eine Art Eifersucht und gleichzeitig Panik, dass Zoë mir entgleiten könnte. Dass ich zurückblieb auf Stufe 2a. Mühsam riss ich mich zusammen und zog sie an mich.
    »Es ist wie eine Art Traum. Ich laufe wie auf Watte. Die Höhenangst ist weg. Ich sehe Irves an und da ist auch ein Schneeleopard, viel heller als der, den ich mal im Zoo gesehen habe. Und Gizmo – er ist ein Jaguar.« Dann sind wir tatsächlich gleich stark , dachte ich. Nur deshalb funktioniert die Bruderschaft. Aus irgendeinem Grund empfand ich eine Scheu davor, sie zu fragen, ob sie auch ihren eigenen Schatten kannte. Ich dachte, sie würde es mir verraten, aber sie schwieg eine lange Zeit, ganz in meiner Umarmung versunken. Und ich hielt sie fest und versuchte mir jede Sekunde davon einzuprägen, als wäre jetzt schon sicher, dass ich sie verlieren würde.
    »Vielleicht ist es ja nützlich. Vielleicht sehe ich auch die Hyänen«, sagte Zoë nach einer Weile. »Ob ich sie finden kann, was meinst du?«
    »Erst einmal muss ich die Gemeinschaft finden«, sagte ich heiser.
    »Hey, Romeo und Julia!« Irves’ ungehaltener Ton riss uns aus der Umarmung. Wir fuhren auseinander und blickten zum Fenster. Irves stand dort. Er sah nicht so aus, als würde ihm das, was er sah, gefallen. »Giz ist zurück«, knurrte er und wandte sich ab.
    Es waren zweiundsiebzig Fotos, auf Hochglanzpapier entwickelt, mit den dazugehörigen Negativen in einem Extrafach. Schon auf den ersten Blick sahen wir, dass Rubio ein sehr gutes Zoom-Objektiv gehabt hatte. Die Vergrößerungen waren zwar körnig, aber die Gesichter dennoch bestechend

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