Schattenauge
und scannte ebenfalls die Straße. Bei jeder Frau mit hohen Schuhen im Businessdress warf Irves ihr einen fragenden Blick zu, doch Zoë schüttelte jedes Mal den Kopf.
Als das Kunstmuseum in Sicht kam, sprach ich Gizmo wieder an. »Halte da vorne an der Ecke, da ist ein Parkplatz frei.«
Gizmo trat erst aufs Gas und stieß in die Lücke, dann warf uns die Vollbremsung wieder gegeneinander. Ich fluchte und stieg mit Zoë zusammen aus dem Auto. Wie die meisten Markierungen befanden sich auch diese in der Nähe einer U-Bahn-Station. Haltestelle Kunstmuseum. Lange her, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Ich sah mich wachsam um, dann lief ich zu der Mauer, an der die Zeichen prangten, und holte das Klebeband und eine Kopie mit Barbs Foto aus meiner Jacke. Darunter waren einige Zeilen, die ich als Erklärung und Aufforderung getippt hatte. Ich faltete den Zettel, klebte ihn neben die Zeichen der Gemeinschaft und kritzelte mit Edding meinen tag darauf. Der Geruch nach frischer Farbe überlagerte das Klebstoff-Plastikaroma des Bands, und als ich meine Hand von der Wand nahm, sah ich, dass feuchter lila Sprühlack an meinem Ärmel klebte.
»Das ist ganz frisch«, sagte ich zu Zoë. »Eve muss eben erst hier gewesen sein. Ich sehe kurz in der U-Bahn nach.«
Zoë sah nicht besonders begeistert aus, aber sie nickte. »Ich komme mit«, sagte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Ich gab Irves und Gizmo ein Handzeichen und deutete auf die Treppe, dann waren wir schon unterwegs nach unten.
Heute fand ich es beruhigend, dass der Bahnsteig voll war. Sie würden wohl kaum den Fehler machen, uns vor aller Augen anzugreifen – und schon gar nicht im Visier der Überwachungskameras am Bahnsteig. (Im Gegensatz zu uns hatten sie immerhin einen Ruf zu verlieren.)
Schulter an Schulter, mit dem Rücken zur Wand, stellten Zoë und ich uns bei den Fahrplänen auf und hielten Ausschau. Die meisten Leute waren nur auf der Durchgangsstation. Eine Gruppe von Museumsbesuchern waren an den roten Papierbändern um die Handgelenke zu erkennen. Nur wenige Leute setzten mit ihrer Kleidung Farbtupfer in den matschigen Einheitsbrei aus grau-braun-grünen Fleeceklamotten und verwaschenen, ausgebeulten Jeans. Als ich ein Aufblitzen von zartem Fliederviolett in der Menge sah, sprang ich kurzerhand auf eine Sitzbank und verschaffte mir einen besseren Überblick. Am liebsten hätte ich einen Triumphschrei ausgestoßen. Dort war tatsächlich Eve! Aus der Tasche ihres Blazers ragte die Spraydose. Sie stand halb von mir abgewandt und betrachtete gedankenverloren die Gleise, als würde sie ebenfalls auf die nächste Bahn warten. Und vermutlich tat sie genau das.
Ich warf einen Blick auf die Anzeige. Nächste Bahn in zwei Minuten.
»Warte hier«, sagte ich zu Zoë. »Es ist besser, wenn wir nicht gleich zu zweit auf sie losstürzen.«
Hastig holte ich die Kopien hervor, suchte mir einen Weg durch die Menge und pirschte mich bis auf wenige Meter an Eve heran. Es wäre seltsam gewesen, wenn sie mich nicht erspürt hätte. Bevor ich den Mund aufmachen konnte, fuhr sie herum und starrte mich mit funkelnden Augen an. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob es bei den Panthera ein universales Zeichen gab, das »Waffenstillstand« bedeutete. Mir fiel keines ein, also hob ich die Hände und versuchte ein harmloses Gesicht zu machen.
»Eve, ich will nur reden!«, rief ich ihr zu.
Ihre Augen wurden schmal und sie kniff misstrauisch die Lippen zusammen, aber immerhin verharrte sie.
»Ich weiß, Claire und Julian sind anderer Meinung, aber wir haben den Kodex nicht gebrochen«, fuhr ich fort. »Wir wissen, wer es war! Eine andere Art, Eve! Eindringlinge in der Stadt! Ihr seid auch in Gefahr. Wir müssen gemeinsa m …«
»Scheiß Rollenspieler«, pöbelte mich ein nach Bier riechender Kerl mit Blues Brothers-T-Shirt und langen Haaren an. »Eindringlinge in der Stadt«, äffte er mich nach und rülpste abfällig. »Geh und spiel woanders, Kleiner! Das hier ist die richtige Welt!«
Seine Lederjackenkumpel grinsten und stellten sich mir demonstrativ in den Weg.
»Haut ab!«, fauchte ich. Über die Schulter von Bierfahne sah ich, wie Eve bei meinen Worten zusammenzuckte – und floh. Mist.
»Warte!«, brüllte ich. Verdammt, sie war dabei, mir wieder zu entwischen! Zwei der Kerle wichen erschrocken zurück, als ich einfach auf sie losstürzte, nur Bierfahne machte tatsächlich den Versuch, mich zu Fall zu bringen. Nun, Kameras hin oder her
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