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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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dass ich das nächste Mal von Anfang an alles vergessen würde: den Kodex, meine eigenen Gesetze – einfach alles. Nun, andererseits würde ich es ganz bestimmt nicht auf ein nächstes Mal anlegen.
    In einem Anflug von diffuser Panik bewegte ich meine Füße auf und ab und war erleichtert. Keine Zerrungen und Stauchungen. Obwohl es glimpflich abgelaufen war, hatte ich vor allem auf Zoë und auf mich selbst eine Höllenwut. In diese Geschichte hatte ich mich selbst gründlich reingeritten. Die Verletzung bedeutete, ich würde mindestens eine Woche hinken und außer Gefecht sein. Dazu kam die Gefahr einer Infektion, was ohne Krankenkassenkarte kein Spaß war. Vielleicht würde ich den Job in den Lagerhallen verlieren, vielleicht würde ich nie wieder richtig laufen können und…
    »Das kommt schon wieder in Ordnung«, sagte Gizmo beruhigend. Er fing Stimmungen und Ängste ähnlich gut auf wie Irves. Nur spielte er das im Gegensatz zu Irves nicht gegen einen aus.
    »Wie bin ich hergekommen?«, wollte ich wissen.
    Gizmo lachte, was nicht oft vorkam. Seine Augen wurden dabei schmal – goldbraune, scharfe Augen ohne eine Spur des Schattens. Ich fragte mich, wie er das machte. Die Lehne seines Schreibtischstuhls knarzte, als er sich zurücklehnte und die Arme verschränkte. »Unser Freund Irves hat mich angerufen«, erklärte er und streckte die langen Beine aus. »Muss so um drei Uhr morgens herum gewesen sein. Er war gerade auf dem Weg ins Exil . Er hat mir von deinem Selbstmordkommando erzählt. Und heute Morgen gegen sieben dachte ich, ich schau mal, ob du noch lebst. Aber dein Hand y …«
    »Weg, ich weiß«, murmelte ich. Verdammt. Auch das noch! Warum hatte ich nicht daran gedacht, es in irgendeinem Mülleimer zu deponieren? Bestimmt hatte Choi mindestens zwanzigmal versucht, mich zu erreichen, weil ich nicht bei der Schicht erschienen war, und sicher war er fuchsteufelswild. Ich konnte es mir nicht leisten, diese Arbeit zu verlieren. Es gab nicht viele Chefs, die Leute ohne Papiere beschäftigten. Neues Handy besorgen , fügte ich meiner Liste hinzu. Choi anrufen. Zu Kreuze kriechen.
    »Ich musste heute ohnehin mit dem Lieferwagen in den Norden«, fuhr Gizmo fort, »und auf dem Rückweg habe ich mal auf gut Glück auf der Brücke nachgesehen. Und rate mal, wer sich im Versteck verkrochen hatte?« Er zog vielsagend die Brauen hoch.
    Ich biss die Zähne noch fester zusammen.
    »Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich heiser. Das Seltsame war: Obwohl ich keinen Einfluss auf den Blackout hatte, schämte ich mich. Zum tausendsten Mal fragte ich mich, wie die anderen es ertragen konnten. Klar, vermutlich konnte ich stolz sein, es aus eigener Kraft aus der Todeszone geschafft zu haben. Irgendein Bild drängte an die Oberfläche, etwas, was ich kurz vor dem Blackout gesehen hatte. Doch sosehr ich auch danach suchte, ich fand nur das Gefühl der Angst wieder. Symptom ohne Ursache. Außerdem wollte ich mir lieber nicht vorstellen, wie Gizmos Bergungsaktion an der Brücke ausgesehen hatte. Vielleicht stammten die blauen Flecken an meinen Armen von ihm. Er war weitaus stärker, als er aussah. Auf eine Art war ich sogar froh, auf diese Erinnerung verzichten zu können: nackt in eine Polsterfolie gewickelt zwischen Hehlerware im Lieferwagen durch die Stadt kutschiert zu werden. Tiefer geht es nicht mehr, Gil, dachte ich niedergeschlagen.
    »Ich hoffe jedenfalls, das Mädchen war die Aktion wert«, bemerkte Gizmo. »Obwohl es mir immer noch schleierhaft ist, was das Ganze sollte. Du kannst kein Retter in weißer Rüstung sein. Wenn die anderen sie erwischen, erwischen sie sie eben.«
    Ich zog scharf die Luft ein. Bisher war ich einfach nur verstimmt gewesen, jetzt aber war ich wütend. Diese dumpfe, pochende Wut, die gefährlich war und nach der ich doch immer wieder die Hände ausstreckte, trotz der Gewissheit, mich daran zu verbrennen.
    »Der Dschungelfunk zwischen euch funktioniert ja wirklich gut«, zischte ich. Gerade eben hatte ich noch gedacht, Zoë könnte mir gestohlen bleiben, aber jetzt überkam mich wieder die Sorge um sie. Zumindest letzte Nacht hatte sie mir zu verdanken gehabt, dass sie ruhig schlafen konnte. Und heute Morgen aufstehen und ihr Leben leben wie an jedem anderen Tag. Seit so ziemlich genau fünf Monaten wusste ich, wie unendlich kostbar das war. Doch, ein Retter in weißer Rüstung, genau das war ich!
    »Lass sie aus dem Spiel«, knurrte ich. gereizt »Das ist meine Sache.«
    »Deine

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