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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Sache?«, erwiderte Gizmo lakonisch. »Sieh zu, dass du dich um deinen eigenen Kram kümmerst.«
    »Jeder für sich«, murmelte ich bitter. »Keiner für alle.«
    »Komm wieder runter, Gil«, sagte Gizmo versöhnlich. Er stand seelenruhig auf und ging zu der Waschmaschine und dem Trockner, die in der Ecke standen. Er bewegte sich völlig lautlos und fließend. Besonders auf Frauen wirkten seine geschmeidigen Bewegungen immer wieder irritierend, so wenig passten sie zu seinem unscheinbaren Äußeren. Und er gab sich keine Mühe, es zu verbergen. Einen Augenblick beneidete ich ihn glühend – auch um seine Skrupellosigkeit. Für ihn war das Leben in Ordnung, wie es war. Er scherte sich nicht um die ganze Sache, für ihn war das alles nur ein Vorteil beim Geschäft. Nicht, dass Geld ihm wichtig gewesen wäre, er hatte mehr als genug davon. Ihm ging es allein um die Jagd. Nicht alle von uns wurden dafür kriminell, aber er war einer von denen, die eine Kunst daraus machten, ihre Sinne als Mittel zum Zweck zu nutzen. Es hatte Vorteile, wenn man leiser und schneller war als die Gegner und um ein Vielfaches besser sah und hörte. Ich hätte gerne geglaubt, dass er mich nur deshalb von der Brücke geholt hatte, weil er mich mochte, aber die Chance dafür stand bei fünfzig Prozent. Und fünfzig Prozent, dass es ihm nur um das Adrenalin ging, um das Risiko, dass jeden Moment die Polizei auftauchen konnte. Er hatte mir schon einige Jobs angeboten, aber so tief unten war ich nicht. Noch klammerte ich mich an das ganz normale Dasein eines Menschen. Vielleicht war es möglich. Es musste verdammt noch mal möglich sein! Ich weigerte mich jedenfalls, etwas anderes zu glauben.
    Ich fluchte und stieß die Polsterfolie von mir. In diesem Augenblick hasste ich sogar den kriminellen Samariter Gizmo, ich hasste die ganze Welt.
    »Los, gib mir schon ein Handy!«, sagte ich nicht besonders freundlich. »Ich muss bei meinem Chef anrufen und mich abmelden.«
    Gizmo verzog keine Miene. »Schau in der obersten Schublade nach«, meinte er nur. »Das rote müsste geladen sein und eine volle Karte haben.«
    Drei Meter bis zum Schreibtisch. Ich presste die Lippen zusammen und stemmte mich mit kreischenden Muskeln vom Sofa hoch. Das rechte Bein antwortete auf die Anspannung mit einem brennenden Stechen. Mit dem Gewicht auf dem linken kam ich einigermaßen zum Stehen. Jetzt lagen meine Nerven wirklich blank. Das Surren und Piepsen der Geräte hallte in meinem Schädel wider und machte mich wahnsinnig. Ich spähte zum Spiegel, der über dem winzigen Waschbecken neben dem Trockner hing.
    »Tu dir selbst einen Gefallen und lass es«, sagte Gizmo, ohne den Blick von dem Wäschehaufen zu wenden, in dem er gerade herumwühlte. »Schaffst du es allein zum Tisch?«
    Ich nickte verbissen und machte mich humpelnd auf den Weg.
    »Oh Mann«, sagte Gizmo kopfschüttelnd. »Sieh dich an. Was hat dich nur geritten?«
    Unvermittelt wie ein Flashback erschien Zoës zartes Gesicht vor mir. Und ein anderes Gesicht – eingebunden in eine verwackelt gefilmte Nachrichtensequenz, die ich liebend gerne vergessen hätte. Ich hätte alles dafür gegeben, um diese eine Erinnerung auslöschen zu können.
    »Ich erwarte nicht, dass du es verstehst«, gab ich heiser zurück. »Dir ist doch sowieso alles egal, solange du dein erbärmliches kleines Ghettoleben führen kannst.«
    Gizmo zog aus dem Haufen von Kleidungsstücken eine weite Jeans heraus und kam zum Schreibtisch. Er warf mir die Hose zu und zog selbst die Schublade auf, bevor ich danach greifen konnte. Nur an der energischen Bewegung konnte ich erkennen, dass er langsam sauer wurde. Schraubendreher, CDs, Kabel und Handys – das ganze Durcheinander rutschte durch den Schwung nach vorne und prallte wie eine Welle aus Plastik und Metall scheppernd gegen den Schubladenrand. Ich zuckte bei dem Geräusch zusammen. Ganz vorne in der Schublade lagen mit Gummiband zusammengehaltene Geldscheine. Vier oder fünf Rollen, zusammen mindestens tausend Euro. Geld bedeutete Gizmo schon lange nichts mehr. Früher oder später geht es uns allen so. Dinge, die ein Menschenleben bestimmen, werden unwichtig. Dann ist ein Sofa vom Sperrmüll genauso gut wie ein Designerbett oder eine Parkbank. Am Anfang hatte ich Mitleid mit Leuten wie Barb gehabt, aber das hatte ich hinter mir. Für Mitleid musste man mit jemandem leiden, der litt. Und Barb litt nicht. Im Gegenteil.
    Gizmo zeigte mir ein sarkastisches Lächeln, nahm ein zerkratztes Handy,

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