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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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mehr als das? Haben sie sich da schon geküsst? Sich verliebt? Oder die Nacht zusammen verbracht?
    Der Startpfiff auf dem Basketballfeld ging ihr durch jede Faser ihres Körpers. Beinahe wäre sie gestolpert. Der Pfiff war so laut, dass es in den Ohren wehtat. Irritiert blickte sie nach links. David dribbelte, sprang hoch und warf den Ball in den Korb. Im Vorübergleiten glaubte Zoë die Bewegungsabfolge wie eine Skizzenstudie zu sehen. »Bild 1, Titel: Hundertdreißig SMS« – »Bild 2, Titel: Sagt, er liebt dich« –»Bild 3: Schläft mit deiner besten Freundin«.
    Überlaut schnitten ihr die Motorengeräusche und die Piepstöne von Handys ins Trommelfell. Als würden ihre Nerven plötzlich keine schützende Hülle mehr haben.
    »Runter vom Gas, Zoë!«, hörte sie Frau Thalis’ mahnende Stimme. Doch sie achtete nicht auf das Brennen in ihren Beinmuskeln und auch nicht auf das Seitenstechen. Sie ließ Paula zurück, holte mühelos zu zwei anderen auf und zog an ihnen vorbei.
    Ellen trat noch dichter an den Bahnrand und rief ihr etwas zu, was Zoë nicht hörte. Zu laut summte irgendwo das Rad einer Straßenbahn auf dem Gleis. Hupen und das Schleifen von Bremsscheiben auf der Hochstraße.
    Dann schnappte etwas in ihrem Inneren ein wie ein Riegel. Etwas Seltsames geschah: Als würde sie einen Teil von sich selbst ausblenden, schnurrte die Tartanbahn zu einer Linie ohne Rechts und Links zusammen. Ihre Sohlen flogen über das flirrende Orange. Bei jedem Sprung flatterten die Gedanken davon, als wären sie nichts weiter als ein wertloser Papiermantel. Zurück blieben ihr Körper und die reine, kalte Wut. Blankes, unmaskiertes Gefühl. Ihre Hände waren nur noch Fäuste. Und Ellen nur noch das Ziel.
    Siebzig Meter noch, sechzig, vierzig… Schritt, Schritt, Kehle . Schau auf ihre Kehle!
    »Zoë, pass auf!«, schrie Paula irgendwo weit hinter ihr. Ein heransausender runder Schatten von links. Im Reflex wirbelte Zoë herum, strauchelte und fing den Basketball auf, der vom Spielfeld auf sie zugeflogen kam. Hart ruckte der Aufprall durch ihre Fingergelenke. Im Schwung ihres Sprunges drehte sie sich und nutzte die Wucht. Der Ball verwandelte sich in eine Waffe. Ellens Mund klappte auf. Eine Stummfilmheldin, die erkannte, dass der Mörder sie gefunden hatte. Ein hässlicher Aufprall, Haare flogen, ihr Kopf ruckte herum, dann fiel sie.
    Es war nur eine Sekunde, doch Zoë erschien es wie ein Moment ohne Zeit. Mit kaltem Interesse betrachtete sie Ellen. Und dahinter – am Zaun – fiel ihr ein anderes Gesicht auf. Finger, wie Affenpfoten um die Gitterdrähte gekrampft. Rissige Hände mit schmutzigen Fingernägeln. Eine Obdachlose mit verfilzten roten Strähnen stand am Zaun. Sie starrte Zoë an und grinste wie ein verrückter Golem.
    Schlagartig fiel Zoë aus dieser seltsamen kühlen Trance in die Wirklichkeit zurück. Sie hörte ihr eigenes Keuchen, während sie immer noch weiterlief. Pfiffe schrillten. Nur noch aus den Augenwinkeln nahm Zoë die Basketballspieler wahr, allen voran David, der vom Spielfeld zu Ellen stürzte. »Spinnst du?«, brüllte er. Wie zwei Sprinter bewegten sie sich auf das liegende Mädchen zu. Ellen blinzelte und tastete benommen nach ihrem Gesicht. Blut lief aus ihrer Nase und am linken Wangenknochen zeichnete sich die rote Stelle ab, an der der Ball sie getroffen hatte. Sie sah Zoë heranrasen, krümmte sich sofort zusammen und schützte den Kopf mit den Armen. Wenige Sekunden vor David erreichte Zoë sie, sprang über die Liegende hinweg – und rannte. Nicht in die Kurve der Bahn, sondern weiter. Sie fegte durch das Tor. Drehe ich jetzt völlig durch? Endlich lösten sich ihre Sohlen von der Bahn und hämmerten auf Asphalt.
    Sie hörte nicht das Hupen der Autos und nicht die empörten Rufe der Passanten, denen sie den Weg abschnitt. Wenn sie eine rote Ampel sah, nahm sie einen Umweg, um nicht anhalten zu müssen. Benommen sah sie die Häuser an sich vorbeiziehen. Und da war noch etwas: ein Schatten, der parallel zu ihr in den Seitenstraßen lief wie ein verzerrtes Spiegelbild. Als sie einen gehetzten Blick über die Schulter warf, glaubte sie zu erkennen, dass es ein Mann war. In einem schwarzen Trainingsanzug, ein Jogger. Sie bog auf die lange Straße ab und legte einen Sprint ein, holte alles aus sich heraus, was ihre Lungen noch hergaben. Als würde die Energie ihr ausgehen, nahmen die Geräusche wieder eine normale Lautstärke an, die Schwere kehrte in ihre Beine zurück. Ein Laster

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