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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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loszuklappern. Ich wartete, bis sie ganz verklungen waren. Dann wollte ich wieder auf die Straße treten – doch als ich mich bewegte, fiel etwas Nasses gegen meine Knöchel. Vom Regen durchweichte Fetzen von Pappschildern. Barbs Botschaften, die sie den Leuten vor der Börse unter die Nase gehalten hatte! Sie musste sie in großer Hast hinter den Container geworfen haben, ohne darauf zu achten, sie vor Nässe zu schützen. Anscheinend wollte sie sie schnell loswerden. Offenbar hatte sie sogar noch versucht, einige davon in aller Hast zu zerreißen. Während sie auf der Flucht war? Mir wurde flau im Magen, als ich mir vorstellte, dass die Jagd vielleicht schon hier ihren Anfang genommen hatte. Aber was hatte sie vor ihrem Verfolger zu verbergen gehabt?
    Ich hob die Fetzen auf und betrachtete sie. Zwei der Schilder kannte ich. Die üblichen Apokalypse-Beschwörungen, die Tag für Tag an den stumpfen Blicken der Passanten zerschellt waren.
    Doch die anderen Schilder hatte ich noch nie zuvor gesehen. Sie waren in der Mitte durchgerissen, einige Papierfetzen von der Oberfläche fehlten, sodass nicht mehr alles lesbar war. Barb hatte mit dickem, schwarzem Edding die Buchstaben mehrmals nachgezogen, als müsste sie dafür sorgen, dass die Botschaft jedem schon auf mehrere Meter Entfernung ins Gesicht sprang.
    » Wir müssen (Riss) …öten. « Das stand auf dem ersten Schild. Töten?
    Mein Mund war plötzlich ganz trocken. Ich sah mich gehetzt um, dann legte ich die Schilderreste hastig auf dem Boden aus, verschob die einzelnen Fetzen und Stücke, bis sie einen Sinn ergaben:
    Schei… (Riss) …f deine Feigheit!
Wir müssen (Riss) …öten
oder wir geh… (Riss) …lbst drauf! 
    Mir war wohler, als ich Maurice’ Zone weit hinter mir gelassen hatte. Aber erst als ich Irves’ Gebiet betrat, wurde ich ruhiger. Die Uhr an der U-Bahn-Station zeigte Viertel vor elf. Ein letztes Mal versuchte ich es bei ihm auf dem Handy und hörte wieder nur die Ansage der mechanischen Stimme. Dann eben nicht! Vielleicht würde es auch so gehen. In den Tiefen meiner Jackentasche suchte ich nach dem Fahrausweis. Ich hatte ihn mal in der U-Bahn gefunden. Er gehörte einem Typen namens Khaled Yelmez. Das unscharfe Bild hatte im Schummerlicht des Clubeingangs entfernte Ähnlichkeit mit mir. Zumindest die Haarfarbe. Aber erstaunlicherweise reichte das meistens, wenn jemand einen Ausweis sehen wollte. Heute hatte ich allerdings Glück. An der Kasse saß die Frau mit dem Piercing in der Lippe, die Irves immer umsonst reinließ und auch mich kannte.
    Ich musste nicht lange suchen. Irves stand an der Theke und unterhielt sich mit einem Mädchen. Der Anblick ihres roten Haars machte mich ziemlich fertig. Sie lachte und legte den Kopf schräg. Ganz offensichtlich hatte Irves sie eingefangen. Wenn er wollte, knipste er seine Aura an und zog die Leute wie ein Rattenfänger hinter sich her. Was ihn allerdings nicht davon ablenkte, auch die Gegend genau im Auge zu behalten. Er bemerkte mich, noch bevor er mich sah. Sein Lächeln verschwand. Das Mädchen sah sich um, neugierig geworden durch seinen Blick. Sie war bildhübsch und lachte unbeschwert – bis sie mein Gesicht sah. Dann musterte sie mich mit gerunzelter Stirn, als würde sie auf einer Straße stehen und versuchen, den Hergang eines tragischen Verkehrsunfalls zu rekonstruieren.
     
    Sie fand nicht mehr in den Rhythmus. Sie stand außerhalb der Musik, und das ärgerte sie so sehr, als wäre sie bestohlen worden. Ohne dass sie es wollte, sah sie immer wieder zu Paula und Irves. Na ja, eher zu Irves. Er erzählte irgendetwas und gestikulierte, einmal lachte er sogar. Da lief so etwas wie ein Flirt. Aber dennoch konzentrierte er sich dabei ganz auf die Tanzfläche – und auf Zoë. Ab und zu ein Blick, eine Geste oder die Körperhaltung, auf die sie halb unbewusst reagierte. Es war wie eine Kommunikation zwischen ihm und ihr, nur dass sie die Sprache nicht verstand.
    Eine Tänzerin rempelte sie an und sie verlor den letzten Faden, der sie mit der Musik verband. Genervt sah sie auf die Uhr. So spät schon. Kurz vor elf. Als hätte Irves ihren Gedanken aufgefangen, sah er gleichzeitig auf seine Armbanduhr (schwarzes Armband, das sich von seiner gespenstisch hellen Haut abhob). Er hob fragend die Brauen, Zoë nickte und bahnte sich einen Weg durch die Umstehenden.
    Wieder wurde sie angerempelt und zur Seite gestoßen. Sie fluchte und schob sich grob zwischen zwei Frauen durch. Inzwischen war es

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