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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Augenblick gar nicht zählte. Sondern nur die Nähe, die sie sich nicht erklären konnte. Obwohl er mindestens fünf Meter entfernt stand, kam es ihr so vor, als stünde er direkt vor ihr. Als er sich in Bewegung setzte, war ihr erster Gedanke wegzulaufen. Ein seltsamer, unverständlicher Impuls, der ihre Laune noch mehr in den Keller zog. Sie nahm sich zusammen und bewegte sich zur Seite, aus dem Tanzflächenlicht. Dann verschränkte sie die Arme und wartete, bis er zu ihr kam und direkt vor ihr stehen blieb. Er überragte sie um mehr als einen Kopf. Er sah besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Und dennoch: Das allein war es nicht, was es ihr schwer machte, ihn nicht anzusehen.
    »Da bist du ja«, sagte er. »Du tanzt wirklich gut.«
    »Und du bist ganz schön spät dran«, erwiderte sie etwas zu barsch. Ihre Haut schien auch überempfindlich zu sein, sie hatte Gänsehaut auf den Armen und spürte jedes Härchen mit unangenehmer Intensität.
    »Ging nicht eher, tut mir leid«, sagte er und lächelte ihr entschuldigend zu.
    Dem ersten Eindruck nach zu urteilen, hätte sie alles erwartet, nur keine so prompte Entschuldigung. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Paula sie entdeckte und bei Irves’ Anblick fast die Colagläser fallen ließ.
    Irves deutete auf eine Nische an der Theke. »Willst du was trinken?«
    »Meine Freundin holt schon was. Und … wir müssen ohnehin um elf wieder los – wir werden abgeholt.«
    Noch während sie den Satz aussprach, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Na wunderbar. Das klang ja ganz nach Mädchengeburtstag. Es passte ihr nicht, dass er sie so irritierte. Es war kein Flirt, sondern etwas anderes. Ihre Nase spielte ihr wieder Streiche. Sie bildete sich ein, Irves wahrnehmen zu können – so deutlich wie einen charakteristischen Duft, den sie nicht hätte beschreiben können.
    »Heute schon um elf auf dem Heimweg, aha«, meinte er. »Schade. Ab elf wird es hier erst richtig interessant. Da wechselt das Publikum.«
    Er machte eine Bewegung zur Theke hin, ging aber erst los, als er sah, dass Zoë ihm folgte. Paula fing ihren Blick auf, nickte und schob sich mit den Gläsern durch die Menge auf sie zu.
    »Hier bist du!«, rief sie, als sie Zoë erreicht hatte. »Da kann ich dich ja lange bei der Tanzfläche suchen.« Ohne Umschweife schob sie sich zwischen Irves und Zoë und stellte die Gläser auf der Theke ab. Dann wandte sie sich sofort an Irves. »Hi, ich bin Paula. Und du bist also der große Unbekannte.« Sie musterte ihn völlig unverfroren von oben bis unten. »Bist du öfter hier?«
    Typisch Paula: So etwas wie Schüchternheit kannte sie nicht. Im Grunde konnte sich Zoë nun zurücklehnen und Paula die Aufgabe überlassen, Irves auszufragen.
    »Mein Revier«, meinte er nur trocken und grinste. »Aber seid meine Gäste.«
    Arroganter Angeber , schoss es Zoë durch den Kopf. Im Augenblick stand ihr Gefühl für ihn wie eine Münze auf der Kante. Ja oder nein? Sie konnte sich immer noch nicht entscheiden, ob sie ihn mochte oder nicht.
    Paulas Münze war offenbar schon zu einer Seite gekippt. Sie lachte über seine Bemerkung und warf sich mit einer temperamentvollen Bewegung das Haar über die Schulter. Als sie nach ihrem Glas griff, blitzte sie Zoë einen gespielt fassungslosen Blick zu, der deutlicher als ein Satz war: Wow! Und du trauerst David hinterher? Zoë musste sich ein Lächeln verkneifen. Man sah sofort, wenn Paula Feuer fing. Es war, als hätte jemand ein Licht in ihr entzündet. Und heute brannte es sehr hell.
    Als Paula sich wieder an Irves wandte, war davon allerdings nichts mehr zu sehen. »Ist ja ein komischer Laden!«, rief sie gegen die Musik an. »Fehlen nur noch die Räucherstäbchen.«
    »Ja, aber gute Musik«, antwortete Irves nur. Er sah Zoë an, als würde er auf eine Antwort von ihr warten. Als sie schwieg, deutete er mit einem Rucken des Kinns zu einer Statue hinter der Theke. Eine indische Göttin, die zehn Arme hatte und in jeder Hand einen Säbel trug. Ihr Reittier war ein riesiger Tiger.
    »Durga, die rachsüchtige Göttin der Vollkommenheit«, erklärte Irves. »Magst du Tiger?«
    Es war klar, dass diese Frage an Zoë gerichtet war. Irgendetwas schien ihn irrsinnig zu amüsieren, seine farblosen Augen funkelten. War er auf Drogen? Seine Pupillen wirkten irgendwie merkwürdig, aber Zoë konnte nicht sagen, warum. Gut, sie waren eher rot als dunkel, was bei Albinos nicht ungewöhnlich war, aber da war noch etwas

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