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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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hielt sie die Ungeduld nicht länger aus und ging auf die Tanzfläche zu.
    Jedes Mal war sie überrascht, wie einfach es war: Es war wie Fallen, nur ohne den Angstschwindel. Sie machte einen Schritt auf die Tanzfläche und die Bässe fingen sie auf. Weißes Rauschen im Kopf. Angenehm und erlösend wie eine Narkose. Sie schloss die Augen halb, bis sie nur das Gleiten von Licht und die schattenhaften Bewegungen der anderen Tänzer wahrnahm. Dann überließ sie sich der Musik.
     
    Es war wie verhext. Gizmo war den ganzen Tag nicht zu erreichen gewesen. Ich hatte vor seiner Kellertür gewartet, dann aber entnervt aufgegeben. Gegen Abend war der Sportplatz endlich wieder leer und begehbar. Die Leute saßen vor den Abendnachrichten oder beim Essen und machten sich vermutlich genau die gleichen Gedanken wie ich: Was war passiert?
    Die Tatortreinigung hatte am Nachmittag gründliche Arbeit geleistet. Auf dem gesamten Sportplatz fand sich keine Spur von Blut mehr. Der Geruch des Eiweißlösers, mit dem die Blutflecken entfernt worden waren, reizte meine Nase. Außerdem hatten irgendwelche Anwohner die obligatorischen Betroffenheitsblumen und süßlich riechende Kerzen aufgestellt. Viel konnte ich nicht erkennen – ein paar verbogene Maschen im Zaun, vielleicht hatte Barb versucht zu fliehen und über den Zaun zu klettern? Anscheinend war ihr das nicht gelungen. Dann war sie in die falsche Richtung gelaufen – oder hatte jemand sie absichtlich in die Ecke in den Unterstand getrieben? In der aufgehellten Dunkelheit konnte ich zumindest ein paar Kratzer in der Bahn erkennen, die neu aussahen. Als hätten Absätze gegen den Boden geschlagen.
    Die Polizei sprach auf allen Kanälen von einem Gemetzel. Man mutmaßte, dass es mehrere Täter gewesen sein könnten. Mit vielen Messern. Wegen der zerfetzten Kehle dachte man, es könnte auch ein Hund im Spiel gewesen sein. Nun, das glaubte ich allerdings ganz und gar nicht.
    Ich hatte noch nie so lange in einem fremden Revier herumgeschnüffelt. Und wohl war mir nicht dabei, als ich versuchte, Schritt für Schritt Barbs Wege zurückzuverfolgen. Auch wenn ihr Gebiet nun verwaist war, gehörte es immer noch zu ihr wie ein Fingerabdruck. Überall waren ihre Zeichen: ein gezeichnetes Muster an einer Wand, Taubenfedern und abgenagte Reste hinter einem sichtgeschützten Sicherungskasten. Ein paar Hundehalsbänder, die sie wie Trophäen um die Aufhängungen einiger Mülleimer geschlungen hatte. Auf ihre Art hatte sie wohl einen ziemlich kranken Humor gehabt.
    An der Bank vor dem Schuhgeschäft beugte ich mich hinunter und sah genauer hin. Die Stelle, an der ihr Kopf oft gelegen hatte, war blanker und glatter als der Rest. Das hier war ihr Ruheplatz gewesen. Nachts. Das Heimgebiet. Alles roch hier noch schwach nach Barb. Feuchtes Zeitungspapier, ranzig verfettete Kleidung. Ich entdeckte sogar ein rotes Haar, das sich in einem Spalt verfangen hatte. Mit der neuen Erinnerung ihres Bildes als Barbara Ruth Villier machte es mich noch trauriger. Du meine Güte – eine Börsenmaklerin! Das heißt, sie hatte ein Leben gehabt, von dem ich nur träumen konnte. Eine Ausbildung, eine Karriere, Kollegen. Vielleicht hatte sie jemanden geliebt. Und das war nun ihr Ende: Mitglied im Club der verrückten Hundefresser. Grausam zugerichtet, unkenntlich, zahllose Wunden.
    Wer konnte einem von uns so gefährlich werden?
    Nur einer von uns , schloss ich grimmig den Gedankengang. Einer, dem der Kodex gründlich am Arsch vorbeigeht.
     
    Es war kaum eine Minute vergangen, als es losging: Die Musik war plötzlich viel zu laut, die Luft begann zu leben. Parfüm und Haut, der süßlich pudrige Geruch des künstlichen Nebels wurde um ein Vielfaches verstärkt. Zoë wusste, was das bedeutete, und von einem Augenblick zum anderen hätte sie einfach nur heulen können. Die Überempfindlichkeit kam zurück. Hinter den geschlossenen Lidern setzte sich ein Teppich aus einzelnen Eindrücken zusammen. Eine Art Webmuster. Unbedeutende Gerüche wurden zum blassen Grundmuster, andere stachen wie farbige Fäden heraus. Und dann war da ein lauter, roter Duft, der in ihrer Wahrnehmung wie ein Ruf war. Verwirrt öffnete sie die Augen.
    Irves.
    Er stand am Rand der Tanzfläche und starrte sie mit einer solchen Intensität an, dass sie die Musik und die Leute um sich herum vergaß und zu tanzen aufhörte. Sein Haar und sein weißer Mantel waren in hellblaues Licht getaucht. Aber das Verrückte war, dass seine Erscheinung im

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