Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
fehlen, wenn sie vor Sehnsucht und Nervosität sogar wieder heimlich auf dem Balkon rauchte.
    »Du machst es dir ja einfach«, sagte sie nun mit ihrer harten Glasstimme.
    Nein, du machst es dir einfach!, dachte Zoë grimmig.
    Sie war kurz davor, die Geduld zu verlieren. Es war die dritte Diskussion, die sie seit gestern über dieses Thema führten. Und ihre Mutter wich keinen Millimeter von ihrer Meinung ab.
    »Es geht aber nicht nur um Leon, Mama«, sagte Zoë mit Nachdruck. »Ich bin schließlich auch noch da! Und das hier ist meine Chance. Irgendwann könnte ich ein Stipendium bekomme n …«
    »Na ja: Irgendwann«, unterbrach ihre Mutter sie unwillig. »Und: Vielleicht. Und: Möglicherweise. Aber wer garantiert dir, dass es sich am Ende lohnt? Vielleicht willst du ja später gar kein Sportstudium machen. Vielleicht gibt es dann nur zwei Plätze für zehn Leute. Was, wenn du es nicht schaffst? Es ist überhaupt nicht gesagt, dass es eine wirkliche Chance ist.«
    »Dass ich es nicht schaffe?«, erboste sich Zoë. »Danke für das Vertrauen, Mama! Was soll ich denn dann überhaupt schaffen?«
    Sie schnappte sich den Trainingsplan und schoss vom Küchentisch hoch.
    »Wo willst du hin?«, rief ihre Mutter ihr hinterher.
    »In die Stadt«, erwiderte Zoë giftig. »Zumindest das kannst du mir ja schlecht verbieten. Bis Freitag habe ich immerhin noch Freigang, oder nicht?«
    »Geht es auch etwas weniger melodramatisch?«, hörte sie die beleidigte Stimme ihrer Mutter. Schranktüren klappten überlaut, Schubladen wurden aufgezogen, bis das Besteck schepperte, aber Zoë hörte nicht mehr hin. Draußen wehte an diesem Nachmittag ein kühler Frühlingswind, also nahm sie ihren wattierten weißen Blazer. Sie verstaute den Trainingsplan zusammen mit dem MP3-Player und ihrem Handy in den Taschen. Dann holte sie noch ihre eiserne Reserve hervor – ein wenig Geld vom Zeitungsaustragen, das sie nicht in die Familienkasse eingezahlt hatte.
    Und jetzt nichts wie raus hier! Als sie sich die Schuhe anzog, erschien ihre Mutter mit verschränkten Armen an der Küchentür. »Wann kommst du wieder?«
    »Weiß nicht. Ich geh zu Paula.«
    Vielleicht nehme ich auch den nächsten Flug nach Kanada. Wollen wir doch mal sehen, ob ich das schaffe!
    »Schön«, kam es glasscherbenscharf zurück. »Dann brauche ich für dich jetzt kein Essen zu machen.«
     
    Rubio hatte meine Warnung wohl ernst genommen. Seine Klingel war abgestellt. Nun, ich hatte Zeit. Und heute war ich weitaus besser vorbereitet. Ich fütterte seinen Briefkasten und schlenderte zur Haltestelle. Barbs Schilder waren wellig, weil ich sie auf dem Dach in der Sonne getrocknet hatte. Die Einzelteile hatte ich mit Paketklebeband aus Chois Lager zusammengeklebt. Einige Passanten beobachteten stirnrunzelnd, wie ich die Schilder vor mir auf dem Boden auslegte und, weil es windig war, mit Ziegeltrümmern von einer Baustelle beschwerte.
    »Junge, betteln ist hier verboten«, knurrte ein Mann im Vorbeigehen.
    Eine Frau las die Zeilen und riss erschrocken die Augen auf. »Was soll das denn heißen?«, wollte sie wissen.
    »Kunstperformance«, erklärte ich. Sie lächelte erleichtert, dann kramte sie eine Münze heraus und gab sie mir mit einem auffordernden Nicken. Ich nahm das Geld und wartete, bis sie zu den Treppen weitergeeilt war, dann holte ich mein eigenes Schild hervor und hielt es auf Brusthöhe.
    Julian nennt dich Henker.
Antworten, Dr. G. Rubio!
    Das alles in Verbindung mit Barbs Schild » Wir müssen (Paketband) …öten « ergab eine hübsche Drohung. Heute war es sonniger als gestern, das Fensterglas spiegelte das Licht. Aber ich wusste, dass er mich beobachtete. Der Vorhang bewegte sich leicht. Wenn ich den Kopf schräg legte, konnte ich sogar das Kamera-Objektiv erahnen, das zwischen den Vorhängen hervorlugte. Ich starrte zu ihm hoch und wartete. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht die Polizei rief, aber aus irgendeinem Grund glaubte ich das nicht.
    Eine Stunde lang passierte nichts. Nach einer Stunde und sieben Minuten war ich mit meiner Geduld am Ende. Zeit, den Druck zu verstärken. Ich wechselte mein Schild durch ein anderes aus:
    Dr. G. Rubio, ein Mörder?
Und ich weiß, wen Barb töten wollte.
    Gut, den letzten Satz hatte ich erfunden, ein Experiment, ob ich richtig lag. Zufrieden sah ich, wie eine Frau aus Rubios Nachbarhaus aus dem Fenster sah, den Mund aufriss und sofort wieder ins Haus abtauchte. Die Sonne verschwand hinter den schnell dahinziehenden

Weitere Kostenlose Bücher