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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Augenblick stand ich schwer atmend und mit Muskeln, durch die das Adrenalin in heißen Stößen pumpte, schräg neben einem Kiosk. Ich spürte nicht einmal meinen verletzten Oberschenkel. Hundegebell dröhnte in meinen Ohren.
    »Hey, prügelt euch gefälligst woanders!«, brüllte ein bulliger Mann, der neben der Kiosktür stand, zu mir herüber. Unweit von mir kam Julian gerade wieder auf die Beine, wischte sich mit dem Ärmel das Nasenblut ab und gab humpelnd und stöhnend Fersengeld.
    »Ja, hau bloß ab! Asoziales Pack!«, kam das Gezeter dröhnend laut vom Kiosk. Sein Zeigefinger stach in meine Richtung. »Und du verschwinde auch oder ich hetze den Hund auf dich.« Wieder das nervenzerfetzende Gebell. Ich wandte mich langsam ganz zum Kiosk um und fixierte die beiden Hunde mit einem starren Drohblick. Das Bellen verebbte. Die Hunde klappten die Ohren nach unten und verzogen sich winselnd ins Innere des Kiosks. Ich schenkte dem verblüfften Besitzer zum Abschied noch ein grimmiges Lächeln und trollte mich. Julian war über alle Berge und trotz allem erfüllte es mich mit Zufriedenheit, ihn verjagt zu haben.
    Ich machte einen großen Bogen um das Kiosk und trat auf die Straße. Im Gehen sah ich auf meine neue Uhr. 13.4 1 Uhr. Es hatte vermutlich kaum eine Minute gedauert. Ich hatte keine Schlagmale, keine Kratzer. Ich musste Julian auf Anhieb eingeschüchtert und in die Flucht geschlagen haben. Das war vielleicht ein Hinweis darauf, dass mein Schatten weitaus stärker war als seiner. Was mir im Moment auch nicht weiterhalf. Ohne Gedächtnis sind wir nichts.
    Klasse. Ich war also dazu verdammt, für immer der Archäologe meines eigenen Lebens zu sein, der die Vergangenheit nur anhand von Fundstücken rekonstruieren konnte.
    Mal sehen: An meiner Hand klebten ein paar lange blonde Haare un d … Oh Gott! Angewidert betrachtete ich den Taubenflügel, den ich (beziehungsweise mein Schatten) Julian abgejagt hatte und nun wie einen Hamburger umklammerte. Ich warf das zerfledderte Ding in den nächsten Abfalleimer an der Bushaltestelle und wischte mir die Hände an der Jeans ab. In einer schlimmen Vorahnung leckte ich mir über die Lippen, aber da klebten zum Glück weder Taubenfedern noch Fasern. Trotzdem spuckte ich zur Sicherheit aus. Und entdeckte genau in diesem Moment Zoë. Sie stand an der Tür, den Rucksack über der Schulter, den Schlüssel bereits im Schloss. Mist. Wie lange beobachtete sie mich schon? Hastig vergrub ich die Hände in den Taschen.
    »Sag mal, du spionierst mir nicht zufällig hinterher?«, fragte sie nicht gerade freundlich.
    »Geht’s vielleicht auch etwas höflicher?«, gab ich ebenso unwirsch zurück. Das Adrenalin machte mir immer noch zu schaffen. Und es wurde nicht besser, als sie die Lippen zusammenkniff und mich so misstrauisch musterte, als sei ich einer der Typen, die sich nur mit einem Mantel bekleidet nachts im Park herumdrückten.
    »Was hast du dann ständig in meiner Nähe zu suchen?«, wollte sie wissen. »Hast du kein Zuhause?«
    Nun, arrogant sein konnte ich auch. »Falls eine öffentliche Bushaltestelle zu deiner Wohnung gehört, klär mich auf.«
    »Für meinen Geschmack sehe ich dich jedenfalls zu oft«, konterte sie. »Wenn ich nicht wüsste, dass du Irves kennst, würde ich glatt denken, du beobachtest mich – oder gehörst du etwa zu den Straßendealern?«
    »Warum nicht gleich zu den Terroristen?«, gab ich zurück. Es hatte ironisch klingen sollen, aber an der Art, wie ihre Augen schmaler wurden, merkte ich, dass sie das wirklich für möglich hielt. Das ließ meine Laune endgültig bis zum Tiefpunkt kippen. Verdammt, was bildete sie sich ein? Zu allem Überfluss erinnerte sich mein Bein daran, dass es gerade einen Sprint hinter sich gebracht hatte. Und dann erinnerte ich mich daran, dass ich für die Fremde hier tatsächlich meine Kniesehnen riskiert hatte. Nur weil sie ein Läufer war. Und ich ein sentimentaler Idiot. Irves hätte jetzt schallend gelacht.
    »Eines kann ich dir jedenfalls gleich sagen«, fuhr sie betont kühl fort. »Falls du hier bist, weil du dir irgendwelche Hoffnungen machst, vergiss es! Dass ich Irves kenne, heißt nicht, dass ich etwas mit dir zu tun haben möchte.«
    »Hey, Moment mal! Wie kommst du auf die Idee, ic h …«
    Doch sie war schon ins Haus geschlüpft und warf die Tür so heftig hinter sich zu, dass ich mir die Ohren zuhalten musste.
    Zicke! , schoss es mir durch den Kopf. Ich trat mit aller Kraft gegen die Mülltonne

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