Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
hatte.
    »Also?«, fragte er.
    Zoë biss sich auf die Lippe. Es war verlockend, am liebsten wäre sie einfach aus dem Bett gesprungen und nach draußen gelaufen – in die Nacht, zu Irves und zur Musik. Aber mit einem Blick auf ihren Laufschuh erinnerte sie sich an Gils Warnung. »Was ist mit Maurice?«, fragte sie leise. »Er ist doch zwischen elf und drei hier unterwegs?«
    Irves’ Miene veränderte sich kaum merklich. Sie wurde härter und seine Augen bekamen einen durchdringenden Blick. »Sag bloß, du hast heute noch keine Nachrichten gesehen?«
    »Nein, warum?«
    Er runzelte die Stirn. Einige Sekunden schien er zu überlegen und sie fragte sich beunruhigt, worüber er nachdachte. Irgendeine Schwingung in der Atmosphäre war wie ein Missklang. Eine Warnung schwang darin mit und eine Unruhe, die sich sofort auf Zoë übertrug.
    »Was ist passiert?«, fragte sie zaghaft.
    »Erklär ich dir, wenn du unten bist«, gab er zurück.
    »Irves, was…«
    Doch er stieß sich mit einem geschmeidigen Satz ab – und sprang! Zoë schlug erschrocken die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien. Er ist nicht gestürzt , beruhigte sie sich. Er ist nur auf die Leiter gesprungen. Dennoch brauchte sie eine Weile, bis ihr Herzschlag wieder ruhiger ging.
    Ein, zwei Minuten war sie noch unschlüssig, doch dann sprang sie aus dem Bett, riss die Schranktür auf und zog sich hastig an.
    Vor der Wohnzimmertür zögerte sie, aber sie sagte sich, dass ihre Mutter wie ein Stein schlafen würde und zumindest in den nächsten Minuten nicht aufwachen würde. Mit einem Blick auf ihre Schuhe beschloss sie, heute kein Risiko einzugehen, und eilte die Treppen barfuß hinunter.
    Irves erwartete sie schon an der Bushaltestelle, die Beine lässig vor der Sitzbank ausgestreckt, die Hände in den Hosentaschen. Trotz der Kühle schien er nicht zu frieren. Zoë tappte auf bloßen Füßen über die kalte Straße.
    »Du bist nicht wirklich durch die Tür gegangen und die Treppen runtergelaufen?«, fragte Irves ungläubig. »Wozu gibt es Fenster?«
    »Ich bin nicht schwindelfrei«, erwiderte sie etwas zu heftig. »Was ist jetzt mit Maurice?«
    »Tot«, erwiderte er knapp. »Und einer von deinen Verfolgern auch.«
    »Was?« Ihr Aufschrei schien in der Straße widerzuhallen. Ihre Knie waren so weich, dass sie sich haltsuchend am Unterstand abstützen musste. Mit einem Frösteln erinnerte sie sich an Maurice’ Gesicht.
    »Wie kann das sein?«, flüsterte sie entsetzt.
    »Ganz einfach: Jemand hat ihn ermordet«, erwiderte Irves lakonisch. »Er wurde auf der Baustelle gefunden. Du hast tatsächlich nichts davon mitbekommen? Du hättest nur mal von eurem Balkon runterschauen müssen, heute Vormittag war die Polizei auf der Baustelle und hat Spuren gesichert.«
    Direkt vor ihrer Haustür! Jetzt fühlte sich die Nachricht noch mehr wie ein Schock an. Von einem Augenblick zum anderen raste ihr Puls. Plötzlich verstand sie, warum ihre Mutter so nervös gewesen war und den Fernseher nicht angestellt hatte. Und warum sie selbst in ihren Träumen so viele Menschenstimmen auf der Baustelle gehört hatte. Bei der Vorstellung, dass Maurice dort unten gelegen hatte, nur wenige Meter von der Straße entfernt, verspürte sie eine flaue Übelkeit. Sie hatte ihn nicht gemocht, nein, aber einen solchen Tod hätte sie ihm nicht gewünscht.
    »Weiß man schon, wer es gewesen ist?«, fragte sie. »Hat es… etwas mit dem Mord an der Obdachlosen zu tun?«
    »Darauf kannst du Gift nehmen.« Irves stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf und verschränkte die Arme. »Gil denkt, es ist einer von denen, die schon länger in der Stadt sind. Einer von uns.«
    Jetzt fror Zoë noch mehr. »Jemand von… uns?«, fragte sie mit schwacher Stimme. »Und was bedeutet das? Solche wie wir… bringen andere Menschen um?«
    Irves schüttelte den Kopf. »Es liegt uns im Blut, dass wir einander nicht töten. Aber irgendein Durchgeknallter scheint da anders zu ticken.« Beim Blick auf ihr blasses Gesicht fügte er hinzu: »Kein Grund, gleich Panik zu schieben. Gil und Gizmo kümmern sich darum. Wir haben neuerdings so eine Art Netzwerk – die Handys, Mails, wir bleiben in Kontakt und warnen uns gegenseitig, wenn wir etwas Auffälliges bemerken. Also halte die Augen offen.«
    Netzwerk. Das passte nicht zu seiner vorherigen Aussage: Jeder für sich.
    »Willst du damit sagen, wir könnten auch in Gefahr sein?«, fragte sie leise.
    Irves zuckte mit den Schultern. »Kommt darauf an, wie man

Weitere Kostenlose Bücher