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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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tatsächlich antwortete?
    »Nicht … heute«, sagte ich. »Ich habe noch einiges zu erledigen.«
    »Wann dann, Gil? Morgen? Am Samstag?« Mein Schweigen schien sie noch mehr zu ärgern. Sie schnaubte. »Dann eben nicht!«, sagte sie und legte auf. Als hätte ich mich verbrannt, schaltete ich das Handy aus und atmete tief durch.
    Was soll das, Feigling? , schalt ich mich. Aber es fühlte sich sicherer an. Sicherer für Zoë.
    »Wir müssen wissen, was jeder Einzelne von ihnen tut«, betonte Gizmo auch an diesem Tag, als wir in seiner Höhle zusammensaßen. »Vielleicht schließt sich die alte Gemeinschaft wieder zusammen, um den Mörder zu finden? Möglicherweise überlagern und vermischen sich deshalb neuerdings die Reviere?«
    »Wenn es nach Rubio geht, existiert die Gemeinschaft nicht mehr«, antwortete ich. Aber sicher war ich mir nicht. Die Grenzen verschoben sich in der Tat weiter. Ich sah Miss Underground einmal an der Treppe zu Rubios U-Bahn-Station und entdeckte Markierungen, die Julian mit Taubenblut an der Börse hinterlassen hatte – neben Eddingzeichen, die ich der Jongleurin zuordnete: gekreuzte Linien und fünf Kreise, die für ihre Jonglierbälle stehen mochten. War das eine Kommunikation zwischen ihnen? Trenchcoat sah ich nicht wieder und auch der Wrestler schien wie vom Erdboden verschluckt, während Julian an den seltsamsten Orten auftauchte. Aber immer wenn ich versuchte, mit ihm zu reden, tauchte er sofort wieder ab.
    Die Nächste, die sich aus dem Staub machte, war Martha Mayer. Wir wussten es, weil sie den Schrottplatz ganz offiziell verkaufte. Die Anzeige der neuen Besitzer erschien in irgendeinem Wochenblatt, aber Gizmo hatte sie natürlich gelesen. So wie es aussah, packte Martha einfach den Koffer voller Geld und verschwand aus der Stadt. Minus Nummer 9. Währenddessen suchte die Stadt nun ganz offiziell nach einem Serienkiller. Einer, der mit Messern tötete, aber auch Risswunden von Krallen hinterließ. Im Fernsehen gab es kein anderes Thema mehr. Pausenlos gaben irgendwelche Experten psychologische Analysen ab. Vermuteter Täter: männlich, intelligent, nicht im Affekt tötend. Bei Panthera hätte das Raster auf jeden und jede gepasst.
    Meine Alarmsirene im Kopf war auf Dauerbetrieb. Noch nie hatte ich so viele Polizeiautos und misstrauische Blicke von Passanten gesehen. Die Hälfte meiner Streifzeit verbrachte ich damit, mich in Hauseingängen herumzudrücken und darauf zu warten, wann ich unbeobachtet weiterlaufen konnte. Es war Choi, der mir schließlich in einem Anfall von Solidarität mit den Geknechteten ein paar Geldscheine in die Hand drückte und mich heimschickte. »Die machen Kontrollen«, sagte er. »Verschwinde für ein paar Tage, ich will keinen Ärger.« Und mit einem Blick auf meine Haare fügte er hinzu: »Geh zum Friseur und besorge dir eine neue Jacke. Dann siehst du weniger aus wie ein Verbrecher.«
    Noch auf dem Heimweg überlegte ich, ob ich heute wieder meinen Posten in Rubios Café beziehen sollte, aber beim Anblick des nächsten Polizeiautos beschloss ich, zur Abwechslung einfach mal auf Choi zu hören. Verschwinden war tatsächlich keine schlechte Idee.
    Gizmo blickte kaum auf, als ich mich durch das halb offene Kellerfenster gleiten ließ und neben dem Trockner landete. Er schraubte einfach weiter an einem Mac-Gehäuse herum. Stumm setzte ich mich an den Rechner und rief meine Mails ab. Rubio. Immerhin. Eine Antwort auf zwanzig Nachfragen. Bei ihm kein schlechter Schnitt. Nicht dass seine Mails wirklich meine Fragen beantwortet hätten, aber sie lieferten winzige Splitter, die ich mühsam zu Ahnungen von Bildern aneinanderreihte.
    Ohne viel Hoffnung klickte ich die Mail auf, in der Erwartung, dass mir eine neue Welle von Beleidigungen entgegenspringen würde. Doch schon als ich die ersten Zeilen las, wusste ich, dass sich etwas verändert hatte. Offenbar hatte ich mit einer meiner letzten Nachrichten endlich den Schlüssel gefunden – den zu Rubios Antworten. Beinahe hätte ich gelacht. Jeder Geschichtenerzähler meines Stammes hätte es mir sagen können: Willst du von jemand anders etwas erfahren, dann musst du ihm erst einen Teil deiner eigenen Geschichte zum Geschenk machen.
    Du bist ein guter Märchensammler, Gil. Und du stammst also von maghrebinischen Nomaden ab. Interessant. Dann hast du einen langen Weg hinter dir. Deine Großmutter ist eine kluge Frau – und vermutlich machst du deinem Stamm von Geschichtenerzählern alle Ehre. Aber du denkst zu

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