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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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der Turnschuhe, die sie bei ihrem Nachtlauf durchs Viertel verloren hatte, landete mit einem lauten Poltern auf dem Boden. Zoë zuckte zusammen, doch dann fiel ihr ein, dass ihre Mutter das Geräusch nicht annähernd so laut hören würde wie sie.
    »Wo… hast du den gefunden?«, fragte sie.
    Klar, dachte sie im selben Augenblick, i ch sitze mitten in der Nacht in meinem Bett, rede mit dem bestaussehenden Jungen der Stadt, der kein T-Shirt trägt und anscheinend gerade in den sechsten Stock geflogen ist, und alles, was mich interessiert, ist, wo er meinen Turnschuh aufgesammelt hat!
    Irves deutete mit einem Rucken des Kinns über seine rechte Schulter.
    »Er lag auf der Feuerleiter, im dritten Stock.«
    Das beantwortete sogar zwei Fragen: zum einen die, wie Irves zu ihrem Fenster gekommen war; zum anderen wusste sie nun, dass sie vor ein paar Tagen von außen bis zum Dach hochgeklettert war. Plötzlich war ihr so kalt, als würde der Schüttelfrost zurückkehren.
    »Was… machst du hier?«, fragte sie und zog die Bettdecke bis unters Kinn. Das schien ihn zu amüsieren, er verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln, das seinem Gesicht tatsächlich etwas Raubtierhaftes gab.
    Einer von ihnen , schoss es Zoë durch den Kopf. Irves und ich… und Gil.
    Gil!
    Auch von ihm hatte sie geträumt. Er hatte sie umfangen gehalten. Und wenn sie sich jetzt daran erinnerte, waren es die einzigen Sekunden des vergangenen Tages und der Nacht, in denen sie sich wirklich ruhig und sicher gefühlt hatte. Plötzlich war alles wieder da: das Gefühl, über dem schwindelnden Abgrund unter der Brücke zu balancieren, die verwirrende Nähe, seine Augen und die sanfte Stimme. »Ich lasse dich nicht fallen.« Es war, als könnte sie den Strom der geflüsterten Worte an ihrem Ohr spüren. Seine Stimme hatte so… behutsam geklungen, fast zärtlich. Irgendetwas brachte sie in ihr zum Schwingen. Mach dich nicht lächerlich , dachte sie. Er hat dich gerettet, das heißt noch lange nicht, dass er etwas für dich empfindet. Doch gleichzeitig ertappte sie sich bei dem Wunsch, ihn wiederzusehen. Sie schluckte leise und senkte hastig den Blick.
    »Ich wollte nur nachschauen, wo du abgeblieben bist«, sagte Irves. »Schließlich hast du mich gestern versetzt. Mann, du musst ja eine Auswahl haben! Aber Zo ë …«, er schnalzte tadelnd mit der Zunge, »ausgerechnet French?«
    »Er heißt Gil!«, erwiderte sie etwas zu heftig. Und als hätte sie damit schon zu viel über sich verraten, fügte sie schnell hinzu: »Du hast mich vor dem Mata Hari angesprochen, weil du wusstest, dass ich zu… zu euch gehöre?«
    Irves nickte.
    »Was ist mit den anderen?«, fragte sie weiter. »Kennt ihr euch alle? Gibt es eine Art Verbindung zwischen euch allen? Dieser Typ – Gizm o –, ist er so was wie euer Troubleshooter?«
    Irves lachte. »So läuft es bei uns nicht. Jeder für sich. Wenn Gizmo euch gestern geholfen hat, hatte er einen Grund dafür.«
    »Gil hat mir geholfen! Und er hatte sicher keinen Nutzen davon.«
    Irves gähnte und streckte sich. Obwohl er nur auf den Fußballen balancierte – hinter sich den Abgrund von sechs Stockwerke n –, hielt er sein Gleichgewicht mühelos.
    »Gil will ja auch ein guter Mensch sein«, sagte er gelangweilt.
    »Du magst ihn nicht besonders, oder?«, fragte Zoë.
    Irves lachte leise. »Nicht, wenn er dich mir so mühelos ausspannt.«
    Jetzt hätte Zoë beinahe gelächelt. Es war seltsam: Bei Irves war die Verbindung sofort wieder da, als hätte sie einfach ein Licht angeknipst. Es war eine Vertrautheit, wie Musik auf einer Wellenlänge.
    »Aber ihr kennt euch schon länger?«, fragte sie. »Du hast gesagt, ihr seid Freunde. Lebt er schon lange hier?«
    Irves zuckte mit den Schultern. »Einige Monate. Vorher war er in Paris. Aber vielleicht gibt es dort zu viele von uns. Manchmal weicht man dann besser aus und sucht sich einen neuen Platz.«
    Das war eine weitere Neuigkeit, die Zoë erst einmal schlucken musste. Paris. Zu viele von uns. Bedeutete das, Leute wie der Blonde konnten die Stadt für sich beanspruchen? Der Gedanke, dass ihr jemand den Platz in ihrer Heimatstadt streitig machen könnte, war erschreckend.
    »Und du?«, fragte sie. »Warum hast du London aufgegeben? Gab es dort auch zu viele?« Die Veränderung in der Atmosphäre war kaum spürbar, nur eine kleine Verschiebung der Puzzlestücke, ein winziger falscher Ton in einer Melodie. »Du hattest doch eine Band«, fügte Zoë hinzu. »Aber du

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