Schattenauge
drei sein!) Endlich hatte das Handy wieder Empfang.
Gil war sofort dran. »Zoë? Alles klar? Wo bist du?«
»Auf dem Heimweg, Ecke Planetarium«, sagte sie atemlos. »Ich komme aus der Stadt. Der Lindenplatz ist nicht neutral! Drei von uns waren hinter mir her.«
»Was?« Die Sorge und die Angst, die in diesem einen Wort nur zu deutlich mitschwangen, taten ihr gut. »Bist du in Ordnung?«, fragte er weiter. »Ist dir was passiert?«
»Nein, ich habe sie abgehängt. Bin gleich zu Hause.«
Sie konnte fast hören, wie ihm der Stein vom Herzen fiel, und musste lächeln. Umso überraschter war sie, als sein Tonfall nach einer Pause sofort wieder ins Sachliche kippte.
»Du warst am Lindenplatz? Warum?«
»Ich bin doch nicht inhaftiert, oder?«, antwortete sie. »Ich war auf dem Rückweg vom Training und musste etwas erledigen. Ich dachte, das wäre die neutrale Zone.«
»Das war sie bisher auch! Wer war dort?«
Sie war selbst überrascht, wie enttäuscht sie von seinem Rückzug war. Geschäftsgespräch, dachte sie. Die Agenten tauschen Informationen aus. Ist das wirklich alles? Oder nahm er ihr die Ablehnung, die sie ihm anfangs entgegengebracht hatte, etwa immer noch übel? Sie leckte sich über die ausgetrockneten Lippen und blickte sich gehetzt um. Aber da war nichts Verdächtiges.
»Der Blonde – Julian«, erklärte sie dann. »Außerdem der Glatzköpfige. Er trug eine orangefarbene Weste, wie die Verkäufer der Obdachlosenzeitung.«
»Nummer 7«, murmelte Gil.
»Und dann die Frau in dem karierten Artistenjackett. Die Jongleurin. Sie hat mich angesprochen. Sie wollte wissen, was ich dort mache.«
»Du hast mit ihr gesprochen ?«
»Nicht direkt, für Small Talk war nämlich zu wenig Zeit«, schnappte Zoë. »Was möglicherweise daran lag, dass ich vollauf damit beschäftigt war, zur U-Bahn zu flüchten, bevor sie mich anfallen konnten.«
Sie konnte hören, dass er Luft holte. Eine Pause entstand, die Zoë wieder wütend machte. Warum war es mit Gil so schwierig? Sie machte sich schon auf die nächste Verhörfrage gefasst, als er sie wieder überraschte.
»Geht es dir wirklich gut, Zoë?« Die plötzliche Sanftheit in seinem Tonfall verwirrte sie und entwaffnete sie völlig. Was jetzt?, hätte sie am liebsten ins Telefon gerufen. Hast du mich nur gerettet oder sind wir Freunde? Gib mir ein Zeichen, Gil!
Er wartete auf Antwort. Es war nur eine einfache Frage, aber Zoë blieb stehen, schloss für einige Sekunden die Augen und dachte darüber nach. Ob es ihr gut ging? Die Geräusche der Stadt umflossen sie, das Summen ihres Blutes in den Adern. Der Lauf, der Wettkampf, die Flucht. Ja!, dachte sie verwundert. Trotz allem. Oder gerade deswegen?
»Zoë?«
»Ehrlich gesagt habe ich mich nie besser gefühlt«, antwortete sie und ging weiter. Sie musste lachen. »Vielleicht ist mein Schatten ein Gepard. Ich war schneller als sie.«
Er schien zu stutzen, dann erwiderte er zögernd: »Unwahrscheinlich. Geparden klettern nicht so gut wie du.« Und leiser fügte er hinzu: »Am besten, du bleibst am Wochenende zu Hause. Da bist du sicher. Und… halte dich fern von der Grenze.«
Zoë war vor den Kiosken angekommen und blieb wieder stehen. »Warum sollte ich?«, fragte sie ernst. »Wozu habe ich die Sinne, wenn ich sie nicht nutzen darf? Es ist meine Stadt. Und ich denke nicht daran, mich zu verkriechen!«
Sein Atem veränderte sich. Die Stimmung kippte.
»Mach diesen Fehler nicht, Zoë!«, sagte er warnend. »Meide den Schatten. Du darfst auf keinen Fa ll …«
»Erzähl mir nicht, was ich darf und nicht darf, Gil.«
Jetzt konnte sie auch seinen Ärger spüren, als wäre er eine Strahlung. Immerhin, endlich eine Reaktion. Und seltsamerweise konnte sie nicht widerstehen, ihn herauszufordern.
»Ich hab’s im Griff, okay?«, sagte sie hart.
»Das denkst auch nur du!«, gab er ebenso unfreundlich zurück. »Spiel nicht damit herum. Du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt.«
»Aber du offenbar, ja? Dann klär mich auf, statt mir immer nur Befehle zu geben! Oder bist du zu feige, mit mir zu sprechen? Erst folgst du mir – und jetzt weichst du mir ständig aus. Warum?«
Gil hätte Paulas Bruder sein können: ungesagte Worte, die die Atmosphäre zwischen ihnen zum Flimmern brachten. Im Hintergrund hörte sie Motorengeräusche und ein Autoradio mit den Nachrichten.
»Wovor soll ich mich fürchten?«, setzte sie nach. »Davor, zu sein, was ich nun mal bin?«
Gils Stimme bebte vor
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