Schattenauge
unterdrücktem Zorn: »Du denkst, es ist ein Spiel«, zischte er. »Aber wenn du mit deinem Höhenflug fertig bist, dann hör mal in die Nachrichten rein. Und dann überleg dir, ob du die Nächste sein willst.«
Mit diesen Worten legte er auf.
»Wehe, du schmeißt das Handy aus dem Fenster!«, sagte Gizmo. Ich umklammerte es tatsächlich, als wollte ich es zerquetschen. Und – ja – ich hätte gute Lust gehabt, es einfach aus dem Autofenster gegen die Wand zu pfeffern. Am besten mitten in die Zeichen, die die Jongleurin und Julian dort hinterlassen hatten. Natürlich rief Zoë sofort wieder an. Sogar das Vibrieren des Handys fühlte sich wütend an. Ich drückte den Anruf weg.
»Was Neues von deiner Liebsten?«, fragte Gizmo.
Ich ignorierte den süffisanten Unterton und zwang mich dazu, von meinem Wutpegel runterzukommen und wenigstens wieder Rot wahrzunehmen. »Nummer 7, Julian und die Jongleurin halten neuerdings zusammen«, sagte ich heiser. »Und zwar nicht nur bei der Läuferjagd.«
Zoë wird doch nicht wirklich an die Grenze gehen? , dachte ich. Was hat sie nur geritten?
»Also doch Mafia«, stellte Gizmo fest. » Julian & the Gang. Was, wenn die drei das Killertrio sind?«
Konzentrier dich, Gil!
»Das passt aber nicht zu Julians Verhalten«, erwiderte ich. »Sein Herumstreifen in Maurice’ Revier, er war zu vorsichtig, als würde er allen Ernstes befürchten, dass Maurice ihm doch noch über den Weg laufen würde. Nein, für mich hört sich das so an, als hätte sich die Gemeinschaft aus Angst wieder zusammengefunden.«
»Wer bleibt dann noch übrig? Miss Underground?«
Ich ließ mich in den Sitz zurückfallen und kurbelte die Scheibe hoch. Es tat gut, in der Stille des Lieferwagens zu sitzen. Der Spiegel, den ich heruntergeklappt hatte, um die Straße hinter mir im Blick zu behalten, fing meine Augen ein: ellipsenförmige Pupillen, leicht pulsierend.
Die Stimmung einer Katze lässt sich an den Pupillen ablesen. Diese Lehrbuchsätze hatte ich erst gestern für Zoë abgespeichert und ihr per Mail geschickt. Vor allem bei starker Erregung verändern sie sich, unabhängig vom Lichteinfall: Sind sie weit geöffnet, so spricht dies für Abwehrhaltung, bei aggressiver Stimmung sind sie dagegen stark verkleinert.
Ich schloss die Augen, versuchte nicht mehr an Zoë zu denken und auch die Sorge um sie zu unterdrücken. Um mich abzulenken, lauschte ich der Stimme des Radiosprechers. Auf der roten Leinwand meiner geschlossenen Lider konnte ich die Bilder sehen, die im Fernsehen dazu abliefen. Darunter das Gesicht des Wrestlers, ein Polizeifoto seines toten, blassen Gesichts, verbunden mit dem Aufruf, »Hinweise zur Identität des Toten« an die Polizei weiterzugeben.
»… wurde der Tote heute in den Morgenstunden an der Schleuse vier Kilometer stadtauswärts aus dem Fluss geborgen. Er wies tiefe Schnitt- und Risswunden am Hals auf. Erste Nachforschungen ergaben, dass es sich bei dem Toten um Marcus Kaban handelt.«
Ich öffnete die Augen und setzte mich auf. Das war neu! Gizmo stellte den Motor ab und beugte sich vor. Dann lauschten wir angespannt.
»Der 43-Jährige hatte bis vor einigen Jahren als Türsteher und als Taxifahrer gearbeitet. Inzwischen geht die Polizei von einem Serientäter aus, der sich seine Opfer unter Obdachlosen sucht. Neben Marcus Kaban fielen ihm bisher Barbara Ruth Villier, der 48-jährige Maurice Gendo und der ehemalige Physikdozent Dr. Kemal Abbas zum Opfer.«
»Hast du das gehört?«, sagte Gizmo. »Noch ein Doktor. Hättest du dem Taubenfresser das zugetraut? Aber wenigstens ist jetzt klar, warum er sich ständig bei der Uni herumgetrieben hat.«
»Der Wrestler war also Marcus«, murmelte ich. Ich rief die Bildergalerie im Handy auf. Ich musste mich durch zwanzig abfotografierte Wandzeichen klicken, die wir in der vergangenen Stunde abgelichtet hatten, dann fand ich endlich das Bild von der Brücke: Marcus, gesund und munter, rennend. Gizmo beugte sich vor und betrachtete die Aufnahme. Seine Augen wurden schmal – wie immer, wenn er dabei war, ein Problem zu lösen.
»Was ist?«, fragte ich.
»Marcus wurde aus dem Fluss gefischt. Spricht also einiges dafür, dass er in der Nähe des Ufers ermordet wurde. Keiner schleppt eine blutende Leiche durch die halbe Stadt. Geht viel schneller, sie einfach am Tatort über das Geländer ins Wasser zu werfen. Könnte sogar sein, dass es direkt auf der Brücke passiert ist.« Er tippte vielsagend an mein Handy.
»Du
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