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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Freunde.«
    »Freundinnen, wolltest du wohl sagen.«
    Es war ihr herausgerutscht, ein Automatismus aus einer anderen Zeit, in der David oder Davids neue Freundinnen tatsächlich eine Rolle gespielt hatten. Doch noch während sie den Satz aussprach, merkte sie, dass die Zeit mit ihm verblasst war – eine Erinnerung an gute und schlechte Tage, aber dennoch Vergangenheit.
    Für einige Sekunden betrachtete sie ihn, als wäre er ein Fremder – ganz ohne die Farben der Verliebtheit. Ein gut aussehender Junge aus ihrer Schule. Sie wusste, sie hatte ihn geliebt. Aber nun fiel es ihr schwer, sich zu erinnern, was sie beim letzten Kuss empfunden hatte. Es gelang ihr nicht mehr, den Zorn auf ihn wiederzufinden, sie verspürte nur noch Bedauern. Paula hat Recht gehabt, dachte sie verwundert. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit.
    »Du kannst zufrieden mit dir sein«, sagte David. »Stell dir vor: Ellen hat Schluss gemacht. Genau das wolltest du doch erreichen?«
    »Im Moment will ich nur eines«, erwiderte Zoë. »Zur U-Bahn. Also lass mich vorbei.«
    Seine Hand lag gespannt am Lenker und als sie einen Schritt zur Seite machte, bockte das Motorrad mit einem gefährlichen Satz direkt vor ihr auf den Bürgersteig.
    »Hey!«, rief sie.
    »Ich bin noch nicht fertig«, sagte David.
    Das Seltsame war, dass sie wirklich keine Angst hatte. Es war eher wie ein Sammeln, alle Eindrücke fokussierten sich auf seine Kehle. Herzschlag pochte dort, ebenso wie in der Ader an seiner Stirn. Er redete weiter, davon, dass Ellen ihm sehr viel bedeutete und dass das Perlenmädchen kein Seitensprung war, sondern dass er sie schon lange kannte, sie sei eine Freundin, weiter nichts. Wie in einem Parallelfilm lief die Sequenz in ihrem Traum vor Zoës Augen ab: David in voller Fahrt, ein Sprung, ein Angriff. Es wäre so einfach, dachte sie erstaunt. Doch stattdessen trat sie ganz bewusst von der Grenze zurück.
    »Okay«, sagte sie. »War ein Fehler, mich einzumischen. Tut mir leid. Du hast Recht: Es geht mich nichts an.«
    Ohne seine Reaktion abzuwarten, drehte sie sich auf dem Absatz um und ging. Das heißt, sie wollte gehen. Aber schon nach den ersten Schritten blieb sie abrupt stehen. Verdammt!
    Es war eine Sache, die Steckbriefe vor sich zu haben, aber eine ganz andere, den Panthera direkt gegenüberzustehen. Drei waren es. Kaum fünf Meter entfernt von ihr, halb geduckt. Die Frau stand in der Mitte.
    »Du! Was hast du hier zu suchen?«, rief sie Zoë mit schneidend klarer Stimme zu. Die Gänsehaut an Zoës Armen stellte die Härchen auf ihrer Haut auf. Die Furcht katapultierte sie wieder gefährlich nahe an die Grenze. Weg!, dachte sie. Den Rest erledigte ihr Körper ganz instinktiv. Es war eine Sache von Sekundenbruchteilen. Noch im Herumwirbeln sah sie, dass die drei losrannten – zwei glitten zur Seite. Mist. Sie wollten sie einkesseln. U-Bahn! , gellte eine panische Stimme in ihrem Kopf. Dumm nur, dass David im Weg stand.
    Als sie auf ihn zurannte, riss er überrascht die Augen auf. Dann stieß sie sich schon mit aller Kraft vom Boden ab. »Hey, wa s …«, rief er. Er schrie auf, als ihr Schienbein im Sprung sein Knie traf, dann kletterte sie schon weiter, seinen Oberschenkel als Stufe benutzend, sie stieß sich kräftig vom Tank ab – und während David mit der Maschine kippte, war sie schon auf der anderen Seite, federte tief in den Knien durch und fegte davon, kurz bevor das umkippende Motorrad sie streifen konnte. Das Getöse hinter ihr, als die Maschine auf den Boden krachte, war ohrenbetäubend. Der Motorradhelm rollte auf den Bürgersteig. David fluchte. Drei endlose Sekunden später war Zoë an der U-Bahn-Treppe. Ohne einen Blick zurück raste sie hinunter bis zum Bahnsteig – und schaffte es gerade noch, durch den sich schließenden Spalt der U-Bahn-Türen zu springen. Die Fahrgäste starrten sie entgeistert an, aber sie machten ihr Platz. Das Letzte, was sie sah, bevor die Bahn in den Tunnel tauchte, war Julians verzerrtes Gesicht hinter der mit fettigen Handabdrücken beschmierten Scheibe.
    »War der etwa hinter dir her, Mädchen?«, fragte eine ältere Frau besorgt.
    Tja, willkommen in meiner schönen neuen Welt, dachte Zoë. Doch sie schüttelte nur japsend den Kopf und klappte zusammen. Sie stützte die Hände auf die zitternden Knie und zwang sich, langsam zu atmen. Das reichte. Für heute war sie wirklich am Ende.
    Mit weichen Knien stieg sie fünf Stationen später aus. (So schnell konnte keiner der

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